Gestern habe ich den Nationalfeiertag der Schweiz verpasst. Mir war so gar nicht nach 1. August zumute – und das nicht mal wegen des Regens, nicht mal wegen des Weltgeschehens. Vielleicht einfach, weil es Sonntag war. Ein Tag danach sieht es etwas anders aus.
Heute ist es mir nach 2. August zumute. Er war während meiner Kindheit und Jugendzeit ein besonderer Tag in meiner Heimat. Und zwar weil die Nachbarn der Einsiedler – die Rothenthurmer – aus Protest den 2. statt den 1. August feierten. Es war ein Protest für die Natur.
So erzählte man es mir jedenfalls. Und mir wurde es immer wieder bewusst, wenn ich mit meinem Vater ins Restaurant in der Altmatt fuhr – der ersten, zweiten oder dritten Altmatt, das weiss ich nicht mehr so genau. Vorbei an einem Schuppen, auf dem in grossen Lettern geschrieben stand: NIE!
Der Auslöser für den Protest war der Widerstand der Bevölkerung gegen den geplanten Waffenplatz auf dem Hochmoor Rothenthurm. Er begann 1973 Jahre und endete 1987 mit der Rothenthurm-Initiative.
Zum jahrelangen Protest gehörten Leserbriefe, Auftritte, Demonstrationen – und das alles gegen die heilige Kuh Armee und für den Schutz des Hochmoors. Am 6. Dezember 1987 gewann David gegen Goliath die Abstimmung mit 57 Prozent Ja-Stimmen.
Heute denke ich: Was war das für eine grossartige Zeit! Heute kaufen wir mitten in einer Pandemie neue Kampfflugzeuge und verteufeln mutige Klimaaktivist*innen, die auf den Tisch bringen, was es zu lösen gibt.
Heute finde ich: Ich fange mal an, den 2. August zu feiern. Als stillen Protest für eine Welt, die vielleicht nie gut, aber wenigstens ein bisschen besser sein kann – ein bisschen gerechter, ein bisschen gescheiter, ein bisschen natürlicher.
Und heute ist auch die Initiative für einen Nationalfeiertag ohne Feuerwerksknallerei auf die Bühne getreten: «Es ist genug!», findet der Verein, der sich im Nachgang zum Nationalfeiertag dazu meldet.
Damit das Ganze doch auch ein bisschen lustig wird, empfehle ich allen 1.-August-Muffeln Beresina oder die letzten Tage der Schweiz. Der Film parodiert Schweizer Klischees und Wirklichkeit – insbesondere die höheren gesellschaftlichen Kreise.
Kritik an solchen Kreisen übten heute auch mehrere Dutzend Aktivist*innen auf dem Zürcher Paradeplatz. Sie machten darauf aufmerksam, dass der Schweizer Finanzplatz mit seinen Investitionen in Erdöl, Gas und Kohle zwanzigmal soviel Treibhausgase verursacht, wie die Schweiz als Land.
Die Bilanz der mutigen Rise up for Change-Aktion dieser uneigennützigen Menschen: 64 der Verhafteten werden bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, 19 bei der Jugendanwaltschaft. Von den Festgenommenen waren 47 Frauen und 36 Männer.
Inzwischen ist das Hochmoor Rothenthurm nicht nur ein Naturschutzgebiet, inzwischen ist aus der angenommenen Volksinitiative zum Schutz der Moore auch die UNESCO Biosphäre Entlebuch entstanden – auch dank eines Aktivisten, dem es bei der Vermarktung seiner Region zum Glück nicht an Humor fehlt.
Übrigens: Moore spielen eine wichtige Rolle für das Klima. Sie bedecken zwar nur drei Prozent der Erdoberfläche, speichern aber 30 Prozent des erdgebundenen Kohlenstoffs. Weltweit binden Moore doppelt so viel CO₂ wie alle Wälder zusammen.
Leider wird nach wie vor sehr viel Torf abgebaut, zum Beispiel in Finnland. Der Brennstoff setzt mehr Treibhausgase frei als Kohle und kann katastrophale Umweltschäden verursachen.
Torf war früher auch in Rothenthurm und Einsiedeln ein wichtiger Energielieferant. In Einsiedeln ist mit dem Sihlsee aus einem grossen Teil des Moorgebiets ein anderer Energielieferant geworden.
Letztes Jahr noch war mir nach 1. August zumute. Was mich dann bewegte gibt es in einem anderen Blog zu lesen. Kleiner Spoiler: Es ging nicht ums Klima, fast nicht.
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