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AutorenbildWerner

Eine Autoshow als Vorbild für einen neuen kulturellen Frühling

An diesem Wochenende war die Glarner Innenstadt aussergewöhnlich menschlich belebt. Natürlich so, wie es sich für eine Pandemie gehört. Ein anderer Anlass hingegen fiel den geltenden Corona-Massnahmen zum Opfer.

Sowohl der durchgeführte als auch der abgesagte Anlass haben Symbolcharakter. Ich erlaube mir eine Tour durch meine Gedankengänge.


Glarus wagte mit Glarus Service am Sonntag zwar einen kommerziell getriebenen Versuch eines Frühlings-Sonntagsverkaufs, der aber ein viel wichtigeres Signal dafür war, wie ein kulturelles und gesellschaftliches Leben trotz Einschränkungen stattfinden kann.

Mitten in Glarus gab es Essen und Getränke von einheimischen Gastronomiebetrieben über die Gasse. Platz für Abstand war genug da, um ein Weilchen zu bleiben und sich auch bei Frühlingskälte mal wieder dem Gefühl hinzugeben, unter Menschen zu sein.

Es gab sogar doppelten Platz: Den Rathausplatz und den Cityplatz – zwei Plätze, die eigentlich einer sind, würde ihn der Strassenverkehr nicht zweiteilen.


An zwei Wochenenden in Jahren ohne Corona-Massnahmen wird die Einheit des Platzes offensichtlich: an der Landsgemeinde und am Stadtopenair. Sowohl das demokratische als auch das musikalische Glarner Highlight wurden 2020 abgesagt. Ihre Durchführung 2021 steht noch in den Sternen.


Ebenfalls abgesagt und ebenfalls als Frühlingsaktion angesetzt, fiel ein Anlass ins Wasser, welchen der Strassenverkehr verbindet, statt trennt.


Ende März locken die Glarner Garagisten jeweils Motofahrzeuginteressierte zum Garagissimo. Im Jahr vor der Pandemie waren 17 Garagenbetriebe in neun Dörfern zwischen Bilten und Schwanden beteiligt. Organisatorin ist jeweils die Sektion Glarus des Auto Gewerbe Verbands Schweiz AGVS.


Liebevoll als Vorbote des Glarner Autofrühlings wird jeweils der Genfer Autosalon genannt. Dieser kann 2021 vielleicht im Mai oder Juni stattfinden. Anders wie sein Genfer Vorbote, ist Garagissimo klein und dezentral. Durch die Verteilung auf verschiedene Standorte bleiben die Menschenaufläufe klein, Abstands- und Hygieneregeln können einfacher eingehalten werden.


Man kann sich nun streiten, ob eine Autoshow etwas mit Kultur zu tun hat. Man kann aber kaum abstreiten, dass das Auto die Begegnungskultur im Kanton Glarus prägt. Nicht abzustreiten, weil schlicht genial, bleibt jedenfalls das Dezentrale und Gemeinschaftliche an der Garagissimo-Organisation.


Ein solches Konzept lässt aufhorchen, weil nebst technischen Möglichkeiten wie Tests vor Ort oder einem elektronischen Impfausweis an Grossanlässen auch Lösungen für den menschlichen Aspekt der Teilnahme am kulturellen Leben wichtig sind. Diese Teilnahme wird hoffentlich auch künftig durch niederschwellige Massnahmen wie Abstand und Hygiene möglich sein. Solche Auflagen könnten vielleicht für kleine – statt keine – Anlässe reichen.


Ich stelle mir gerade vor, wie das Vorbild Garagissimo dazu führt, dass bei einer erneuten Absage des Stadtopenairs einheimische Bands durch die Glarner Dörfer touren. Passend zum Zehnjährigen der Gemeindefusion könnte sowas die serbelnde Dorfkultur wieder etwas aufpeppen.


Jedem Ort sein Konzert auf dem Dorfplatz: So abwegig ist das nicht. Und es könnte sogar mehrmals im Jahr stattfinden. Dazu braucht es allerdings Menschen mit Zeit. Denn Geld verdienen lässt sich mit solchen kleinen Events nach heutigem Vorstellungsvermögen kaum.



Und ich stelle mir auch gerade vor, wie das Vorbild Garagissimo dazu führt, dass das Glarnerland das erste Eidgenössische organisiert, welches das Sägemehl auf einen ganzen Kanton – auf drei Gemeinden – verteilt, um grossen Menschenansammlungen und Systembelastungen an einem einzigen Ort vorzubeugen.


Ja, ich kenne mich zu wenig aus beim Schwingen – obwohl mich mein Vater zum Schwinger machen wollte – und das wäre vielleicht schwierig und ungewöhnlich. Schwierig und ungewöhnlich ist allerdings gerade so ziemlich alles, weil wir immer mehrere Schritte vorausdenken müssten.


Auch die Glarner Garagisten könnten neuen Schwung an einem solchen Schwingfest erhalten und ein zeitgemässes Car-Sharing-Angebot inklusive Mitfahrgelegenheiten entwickeln, welches bei Spitzenzeiten das konventionelle ÖV-Angebot ergänzt und für eine neue Begegnungskultur sorgt.


Vielleicht liesse sich sowas sogar vor 2025 an einer dezentralen Landsgemeinde üben. Wer weiss, vielleicht kämen sogar Rikscha-Taxis zum Einsatz – im kleinräumigen Glarnerland mit wenig Steigung auf dem Talboden und wenig Platz für zahlreiche und grosse Fahrzeuge könnte sowas zum wirtschaftich-kulturellen Öko-Begegnungs- und Mobilitäts-Hit werden.


Ich stelle mir das alles aber nur vor. Ausgelöst durch die Kreativität von Glarus Service an diesem Wochenende, gesellschaftliches Leben wieder auszuprobieren.


Kreativität ist wichtig in schwierigen Zeiten, in denen Bisheriges verworfen werden muss, damit daraus neue Formen entstehen können. Ich für meinen Teil bin jedenfalls gespannt, was alles entsteht.



Quelle: Diesen Beitrag durfte ich ursprünglich im Kulturblog der Glarner Agenda veröffentlichen.

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