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AutorenbildFee

Irgendwo zwischen Gaspedal und Lenkrad

Heute ist «Tag gegen Lärm» – mitten in der Pandemie, während der alles schön ruhig ist. Ruhig? Ich erlaube mir einige Gedanken zum Tag und zu einem Thema, worüber latent geschwiegen wird.


Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist Lärm das zweitgrösste Gesundheitsproblem Europas. Nein, es geht nicht um Kirchen- oder Kuhglocken, auch nicht um Rasenmäher oder Laubbläser. Es geht um Strassenlärm, dem in der Schweiz über eine Millionen Menschen schutzlos ausgesetzt sind.


Was heisst betroffen? Lärm macht krank: Neben Stress führt Lärm zum Beispiel zu Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes – drei Vorerkrankungen, durch die Betroffene zur Covid-19-Risikogruppe zählen. 500 Menschen sterben in der Schweiz jährlich an den Folgen des Lärms. Kinder sind besonders lärmempfindlich.



Seit einigen Wochen steht Solidarität hoch im Kurs. Aus Solidarität niemanden anstecken, regional einkaufen und den Nachbarn helfen – eigentliche Selbstverständlichkeiten. Sogar Parkgebühren werden aus Solidarität erlassen. Was den Strassenlärm angeht, ist die Grenze der Solidarität schnell erreicht. Sie befindet sich irgendwo zwischen Gaspedal und Lenkrad.


Einmal fest im Sitz, ist schnell vergessen, welches Leid der eigene Lärm bei anderen verursacht. Ja, es gibt die Rücksichtsvollen. Solche mit kleinen und leisen Fahrzeugen oder solche, die nur so viel wie nötig fahren. Und ja, es gibt die Rücksichtslosen. Solche mit einem aggressiven Fahrstil oder solche, die aus ihrem Klappenauspuff das Letzte herausholen.


Was die Verursacher für sich reklamieren – gehört zu werden –, wird den Betroffenen mit Unverständnis, ja sogar mit Hass und Häme versagt, wenn sie sich wehren. Das ist das Gegenteil von Solidarität. Das ist ein Totalausfall des Anstands.



Der «Tag gegen Lärm» widmet sich dieses Jahr der Nacht. Wenigstens nachts sollte es klar sein, im Wohngebiet leise zu fahren – auch den eigenen Nachbarn zuliebe. Leider scheint das zu viel verlangt.


Die Polizei hat weder Kapazitäten für Prävention noch Instrumente für Kontrollen. Bauämter geben Millionen Steuergelder aus für Flüsterbeläge oder Schallschutzfenster mit begrenzter Wirkung.


Dabei ist laut Strassenverkehrsgesetz unnötiger Fahrzeuglärm im Wohngebiet zu vermeiden. Die Lärmverursacher aber haben freie Fahrt. Klappenauspuffe zum Beispiel sind seit 2016 verboten – aber nur, wenn sie nicht vorher typengenehmigt wurden. Im Klartext: Bei den meisten Neufahrzeugen bleiben sie noch jahrelang im Einsatz.



Vielleicht hilft es, Steuergelder für eine Präventionskampagne auszugeben oder für den einen oder anderen Lärmradar, um dann aber auch die besonders lauten Fahrzeuge aus dem Verkehr zu ziehen oder mindestens zu büssen, statt sie durch deren Fahrer nur noch mehr aufdrehen zu lassen.


Hoffentlich aber gelingt es, dass Solidarität und Anstand auf den Strassen einkehren. Anstand heisst auch, den Strassenlärm nicht totzuschweigen. Bei der Aufklärung spielen, nebst den Behörden, die Autohändler, Garagisten und Motorfahrzeugverbände eine zentrale Rolle.


Danke: Diesen Beitrag durfte ich ursprünglich im Namen der Lärmliga Schweiz im Leiser_Blog und als Tribüne in den Südostschweiz Glarner Nachrichten veröffentlichen.



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