Heute schreibe ich ab. Und zwar aus einem Aufruf der Stiftung für Demokratie. Es geht um einen Offenen Brief an die Präsidien des National- und des Ständerats.
Der Corona-Virus ist ein Stresstest für die direkte Demokratie. Ein Offener Brief fordert jetzt vom Parlament Massnahmen, um die Ausübung der politischen Rechte in Pandemiezeiten sicherzustellen.
Letzte Woche ist die Mikrosteuer-Initiative mit 93'000 Unterschriften kurz vor der Ziellinie gescheitert. Das Aus war der Pandemie geschuldet, welche das Unterschriftensammeln so schwierig und aufwendig gemacht hat wie nie zuvor.
Umso unverständlicher ist, dass der Bundesrat wichtige Demokratie-Massnahmen aus dem Covid-Gesetz, dessen Verlängerung nächste Woche im Parlament behandelt wird, gestrichen hat. Die Massnahmen sichern die Ausübung der politischen Rechte in Pandemiezeiten.
Konkret gestrichen wurde der bestehende Artikel 2 des COVID-19-Gesetzes. Dieser erlaubt Referenden und Initiativen die Unterschriften nicht mehr vorgängig bei den Gemeinden zu beglaubigen, sondern direkt bei der Bundeskanzlei einzureichen. Im Schlussspurt spart diese wirksame Massnahme wertvolle Zeit, da die Bescheinigung oft zwei Wochen dauert.
Falls Artikel 2 im COVID-19-Gesetz nicht wieder aufgenommen wird, drohen laufende Referenden zu scheitern oder werden wegen der Unsicherheit gar nicht gestartet. Gleiches gilt auch für Volksinitiativen, zumal sich die Pandemie-Situation wieder deutlich zuspitzt.
Um die Ausübung der politischen Rechte sicherzustellen hat die Stiftung für direkte Demokratie heute einen offenen Brief lanciert. Er richtet sich an das Präsidium von Nationalrat und Ständerat mit der Bitte, den Artikel 2 des COVID-19-Gesetzes ein weiteres Jahr in Kraft zu belassen.
Offener Brief der Stiftung für direkte Demokratie
Ausübung politischer Rechte in COVID-Krise weiterhin sicherstellen
Sehr geehrte Ratspräsidien
Die COVID-Pandemie ist nicht nur ein Stresstest für unsere Gesellschaft, die Wirtschaft und das Gesundheitssystem, sondern auch für unsere direkte Demokratie. Die unterzeichnenden Bürgerinnen und Bürger sind sehr besorgt über die negativen Folgen für die politischen Rechte. Denn mit «Social distancing» und weiteren Schutzmassnahmen im öffentlichen Raum ist die Unterschriftensammlung für Volksinitiativen und Referenden unsicherer, aufwendiger und teurer geworden. Die erschwerten Bedingungen haben dazu geführt, dass Volksinitiativen, wie kürzlich die Mikrosteuer-Initiative, vor der Ziellinie straucheln. Überdies hat die Anzahl von lancierten Volksbegehren – im Vergleich zu den Vorjahren – deutlich abgenommen.
Die Eidgenössischen Räte hatten im September 2020 den Ernst der Lage erkannt und eine gesetzliche Grundlage für effektive Massnahmen geschaffen. Der Artikel 2 COVID-19-Gesetz erlaubte es dem Bundesrat, zeitlich befristet die Einreichung von Unterschriftenlisten für fakultative Referenden ohne Stimmrechtsbescheinigung bei der Bundeskanzlei zu erlassen. Der Bundesrat hat diese Massnahme zur Sicherstellung der politischen Rechte daraufhin rasch in Kraft gesetzt. Auf Anregung der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates wurde diese Regelung per 20. März 2021 auf Volksinitiativen ausgeweitet.
Dieser Artikel tritt Ende Jahr ausser Kraft, womit auch die befristeten Massnahmen zum Schutz der politischen Rechte auslaufen. Gleichzeitig spitzt sich die Pandemie-Situation wieder zu und erschwert wegen den Verhaltens- und Hygienemassnahmen die Unterschriftensammlung erneut. In der Folge drohen laufende Referenden und Volksinitiativen in der Sammelphase zu scheitern.
Da die COVID-Pandemie und die Massnahmen zur Bekämpfung andauern, ist es dringend nötig, Referenden und Volksinitiativen weiterhin von der Bescheinigungspflicht zu befreien. Die Unterzeichnenden des offenen Briefes bitten Sie, den erwähnten, unten angefügten Artikel 2 Covid-19-Gesetz (21.066) ein weiteres Jahr in Kraft zu belassen.
Art. 2 Abs. 1 1 Der Bundesrat kann zur Unterstützung der Ausübung der politischen Rechte vorsehen, dass Referendums- und Initiativbegehren mit der nötigen Anzahl Unterschriften, jedoch auch ohne Stimmrechtsbescheinigung innerhalb der Referendums- und Initiativfrist bei der Bundeskanzlei einzureichen sind.
Mit bestem Dank für Ihre Aufmerksamkeit und im Vertrauen, dass die eidgenössischen Räte in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesrat und den Kantonen griffige Massnahmen zum Erhalt der politischen Rechte erlassen werden, verbleiben wir mit freundlichen Grüssen
Sophie Fürst, Claudio Kuster, Lucy Koechlin, Marco Kistler und Daniel Graf Stiftungsräte, Stiftung für direkte Demokratie
Stiftung für direkte Demokratie
Die parteiunabhängige Stiftung für direkte Demokratie fördert die politische Partizipation der Bevölkerung. Sie unterstützt zivilgesellschaftliche Projekte, die auf Werten wie Menschenrechten, sozialer Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit beruhen.
Die Stiftung gewährleistet den Betrieb der Demokratie-Plattform WeCollect und stellt für die Lancierung von Initiativen und Referenden kostenlos digitale Werkzeuge zur Verfügung. Als erste Crowd-Stiftung der Schweiz steht die Stiftung auf den Schultern einer wachsenden Community von engagierten Bürgerinnen und Bürgern.
Um mitzuhelfen, die negativen Auswirkungen der Pandemie auf die direkte Demokratie abzuwenden, hat die Stiftung beschlossen, Initiativen und Referenden stärker zu unterstützen.
Seit September 2020 steht WeCollect den Komitees kostenlos zur Verfügung. Die Stiftung übernimmt die gesamten Portokosten der Unterschriftenbögen, die über die Plattform gesammelt werden. Der Stiftungsrat hofft, damit Komitees zu ermutigen, Initiativen und Referenden – trotz den widrigen Umständen – zu starten und über die Ziellinie zu schieben.
Update 1: Am 30. November hat die Stiftung für direkte Demokratie den offenen Brief mit über 5'000 Unterschriften eingereicht. Er richtet sich an die Ratspräsidien, Nationalrätin Irène Kälin und Ständerat Thomas Hefti, mit der Aufforderung, die Corona-Hilfe für die direkte Demokratie sicherzustellen.
Das Parlament entscheidet in den nächsten Tagen, ob es weiterhin Erleichterungen für Referenden und Initiativen geben soll. Ständerat Thomas Minder und Nationalrat Gerhard Andrey reichen Einzelanträge ein, um die Corona-Hilfe (Artikel 2), die der Bundesrat gestrichen hat, wieder im Covid-19-Gesetz zu verankern.
Angesichts der neuen Pandemie-Welle ist die Stiftung zuversichtlich, dass das Parlament den Ernst der Lage erkennt und die Ausübung der politischen Rechte sicherstellt.
Update 2: Gegen den Willen des Bundesrates hat sich am 2. Dezember 2021 der Nationalrat für die Fortführung der Corona-Hilfe für die direkte Demokratie ausgesprochen. Damit ist klar: Artikel 2 wird nicht, wie vom Bundesrat beantragt, aus dem Covid-19-Gesetz gestrichen.
Quelle: Newsletter der unabhängigen Demokratie-Plattform WeCollect
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