Dieses Jahr feiern die Glarner Gemeinden ihr zehnjähriges Jubiläum. Zwar äussert sich Feiern während einer Pandemie anders als üblich, doch unmöglich bleibt es nicht. Das zeigt zum Beispiel die Gemeinde Glarus mit ihrem Motto und ihrem zentralen Element im Jubiläumsjahr. Was das alles mit Liestal auf sich haben könnte, zeigt sich vielleicht in drei Jahren.
Sowohl das Motto als auch der Schwerpunkt enthalten das vielsprechende Signal, wie sich Menschen persönlich und ungezwungen begegnen können, auch wenn keine oder keine grösseren oder nur ausschliessende Veranstaltungen möglich sind.
Ein Buch als zentrales Jubiläums-Element
Das Buch die Flurnamen der Gemeinde Glarus ist mit fast 1,8 Kilogramm zwar ein ziemlicher, aber auch ein sympathischer und spannender Schinken. So gross und schwer das Buch auch ist, so liebevoll und sorgfältig haben Thomas Spälti, Andi Lienhard, Fritz Marti und Peter Staub dessen Inhalte recherchiert, geschrieben, gestaltet, gedruckt, gebunden und herausgegeben. Man spürt bei diesem wunderbaren Werk förmlich die aufwändige Arbeit und die Lust der Beteiligten, es zu realisieren.
In den Plänen, Fotos aus früheren Zeiten und erklärenden Texten lässt es sich regelrecht versinken. Böse Zungen könnten vielleicht behaupten: Das ist viel Wissen, das man nicht braucht. Für mich ist es genau das, was mir daran gefällt: Das ist viel Wissen, das ich geschenkt erhalte. Apropos Geschenk: Die Gemeinde Glarus schenkte an ihrer Büchersuche um die Ostertage der Bevölkerung 150 Flurnamenbücher, die sie im gesamten Gemeindegebiet versteckte.
Neue Fusswege zum Zehnjährigen
Flure sind Teil der Umgebung, Naherholungsgebiete und gehören zum Zusammenleben. Ihre Namen sind Teil der Geschichte und der Identität der Menschen. Aus dem Buch entsteht noch dieses Jahr ein Flurnamenweg rund um die Gemeinde Glarus. Dem Fussweg kommt laut Gemeinde Glarus eine starke Symbolkraft zu: «Er verbindet die Ortsteile Netstal, Riedern, Glarus sowie Ennenda und schafft neuen Bewegungsraum in einer Zeit der eingeschränkten Bewegungsfreiheit.»
Wie wichtig Bewegung an der frischen Luft und Begegnungen mit Menschen sind, davon können nicht nur schmerzgeplagte und alleinlebende Menschen ein Liedchen singen. Die Wahl der Mobilitätsform spielt dabei eine zentrale Rolle. Es gibt einen Unterschied zwischen einem flüchtigen Handheben hinter der Windschutzscheibe und einem gesprochenenen Gruss, einem Lächeln oder vielleicht sogar ein, zwei persönlichen Worten, die Menschen zu Fuss unterwegs tauschen.
Zu Fuss das Ortsbild schützen
Bewegung und Begegnung zu Fuss gewinnen auch aus anderen kulturellen Gründen an Bedeutung. Im Band Kanton Glarus des Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) haben Netstal sowie Ennetbühls eine regionale und Glarus sowie Ennenda eine nationale Bedeutung. Um Ortsbilder effektiv zu schützen – also Investitionen in deren Erhalt und Entwicklung zu fördern – ist der Wert ihrer Umgebung wichtig. Diesen Wert beeinflusst zum Beispiel Verkehrslärm. 2017 haben dadurch schweizweit Liegenschaften über 1,2 Milliarden Franken an Wert verloren.
Ortsbildschutz hat die gleichen Ziele, wie sie auch die Gemeinde Glarus hinsichtlich der Flurnamen formuliert: «Sie stehen für die Verbindung von Zeiten und Räumen, von Menschen und Generationen, von Jung und Alt, von Aussichten und Ansichten – die Grundlage für viele neue und wertvolle Perspektiven. Auf dieser Basis wird auch in Zukunft das Zusammenleben gestaltet und über Veränderungen sorgfältig und gemeinsam entschieden.»
Liestal macht es Glarus vor
Kein Wunder und gut ist das Flurnamenbuch das zentrale Element des 10-Jahre-Jubiläums von Glarus. Ob die Botschaft auch wirklich ankommt, bleibt abzuwarten. Noch sieht es nicht danach aus: Zu gross ist der Anteil der Motorfahrzeugfahrten durch Glarus, die vermeidbar wären. Und zu offensichtlich klein ist der Anteil der Fussgänger, die Ortsbilder lebendiger und leiser machen.
Zu wenig wird das System der kurzen Wege noch von den Menschen akzeptiert bzw. genutzt. Zeichen für solches Unbewusstsein sind zum Beispiel, wenn sich die Gemeindeversammlung keine Fussgängerbrücke über die Linth leisten will oder die einzige Fussgängerzone widerstandslos zu Park- und Abstellplätzen umfunktioniert und für Fussgänger gesperrt wird.
Und doch bleibt da ein gleichzeitig klar und verhaltenes Signal des Mottos «mitenand wiiterguu» und des Schwerpunkts Flurnamenwege im Jubiläumsjahr: Dem Fussverkehr gehört die Zukunft.
Wie sich ein Kantonshauptort mit Fussgängerfreundlichkeit etablieren kann, macht Liestal vor. Nein, damit ist nicht die Coronademonstration von Ende März 2021 gemeint, sondern ein Preis, den der Hauptort des Kantons Baselland soeben erhalten hat: den Flâneur d’Or 2020.
Der Preis zeichnet alle drei Jahre fussgängerfreundliche Strassen, Wege und Plätze aus. Liestal erhält ihn für den Umbau der Rathausstrasse. Die Ein- und Anwohner, die Besucherinnen, die Wirte und Ladenbesitzer haben ein mustergültig gestaltetes Stück Altstadt erhalten. Die Auszeichnung zeigt, dass sich ein Ort nicht auf ein Einzelereignis reduzieren und noch weniger mit einer Hashtagaktion eliminieren lässt.
Vielleicht ziert in drei Jahren die Gemeinde Glarus die Titelseite des Themenhefts von Hochparterre zum Flâneur d'Or und verliert dadurch seinen dominierenden Ruf als lautes Nadelöhr für den Autoverkehr.
Koexistenz löst Dominanz ab
Verkehr ist immer öffentlich und prägt das Zusammenleben in Ortschaften. Das gewählte Verkehrskonzept hat einen wesentlichen Einfluss auf den zwischenmenschlichen Umgang im Ort oder in einer Region. Zeitgenössische Verkehrskonzepte verabschieden sich von der Dominanz des motorisierten Individualverkehrs und richten sich an der Koexistenz der verschiedenen Verkehrsteilnehmer und -mittel aus.
Fördert eine Gemeinde den Langsamverkehr, macht sie die Wege für Velos und Fussgänger sicher, direkt und komfortabel – dazu gehören insbesondere Wege und Plätze, die weniger dem Strassenverkehr und seinen Folgen ausgesetzt sind. Der Strassenverkehr reduziert sich zum Beispiel mit jedem Fussgänger, der weder Teil von Staus ist, noch einen Parkplatz braucht oder Lärm macht.
Für Menschen, die sich die Mobilität mit dem Auto gewöhnt sind, sind Komfort und Sicherheit sowie eine angenehme Umgebung das A und O, um auf den kulturfördenden, ortsbildschützenden, gesundheitsschonenden und klimaverträglichen Fussverkehr umzusteigen. Für Menschen, die kein Motorfahrzeug fahren, sowie für Personen, die mit Geh-Hilfen oder Kinderwagen unterwegs sind, sind sie tagtäglich zentral.
10 Tipps für Neu-Fussgänger*innen in der Gemeinde Glarus
1 Wählen Sie bequemes, der Witterung entsprechendes Schuhwerk, mit dem Sie trittsicher sind und trockene Füsse behalten. Falls Sie noch kein solches haben, kaufen Sie Ihre neuen Schuhe am besten zu Fuss in Glarus oder Netstal ein.
2 Falls Sie auffallen möchten: Machen Sie sich hübsch und achten Sie gleichzeitig darauf, dass Sie warm genug haben oder umgekehrt nicht zu heiss in ihren Kleidern kriegen – die Bekleidung von Fussgängern ist das Pendant zur Heizung und Klimaanlage im Auto.
3 Wenn Sie länger zu Fuss gehen und etwas schneller vorwärtskommen wollen, entlasten Sie Ihre Muskelkraft durch bewusstes und gutes Durchatmen. Achten Sie auch bei schnellem Gehen stets auf die anderen Verkehrsteilnehmer.
4 Egal ob Sie der Typ zum Grüezi sagen, zum Lächeln oder zum Stummbleiben sind: Machen Sie sich nicht zu viele Gedanken darüber und verhalten Sie sich einfach so, wie Sie sich wohl fühlen.
5 Falls Sie jemandem begegnen, die oder der sich mit Ihnen unterhalten will, Sie aber keine Zeit oder Lust haben: Sagen Sie es einfach, statt unnötig ungeduldig zu werden.
6 Probieren Sie verschiedene Wege aus – Abwechslung macht das zu Fussgehen spannender. Schenken Sie dem Ortsbild, den historischen Häuserzeilen und den hübschen Gärten Beachtung. Nehmen Sie dabei auch mal auf einer Bank Platz und beobachten Sie die Umbegung.
7 Sind Autos oder Motorräder auf dem Trottoir parkiert, sprechen Sie die Lenker darauf an: Das ist nicht nur verboten, sondern kommt oft vor und ist zum Beispiel für Personen mit Sehbehinderung, mit Kinderwagen, im Rollstuhl oder mit Geh-Hilfen und für Kinder besonders problematisch und gefährlich.
8 Positionieren Sie sich klar am Fussgängerstreifen und suchen Sie Blickkontakt – als Erwachsener sind Sie ein Vorbild für die Kleinen.
9 Wenn Sie zu Fuss Einkaufen: 60 Prozent aller Einkäufe passen in eine Tragtasche – noch komfortabler geht es mit einem schicken Einkaufswägeli aus Glarner Produktion.
10 Gehen Sie zu Fuss ab Haus und nicht mit dem Auto zum Spazierweg. So lernen Sie Ihre unmittelbare Wohnumgebung schätzen und schonen diese für Ihre Nachbarn und alle, an denen Sie sonst vorbeifahren würden.
Neues Angebot für Fussgänger-Aktionen im öffentlichen Raum
Fussgänger-Fans können sich seit Kurzem über ein neues Angebot im Kanton Glarus freuen, das auf Aktionen – auch im Zusammenhang mit dem Fussverkehr – im öffentlichen Raum setzt. Die Peformance-Gruppe Practors übt ab dem 6. Mai 2021 jeweils donnerstags für ihren ersten Auftritt.
Quelle: Diesen Beitrag durfte ich ursprünglich im Kulturblog der Glarner Agenda veröffentlichen.
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