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Mein Schmerz gehört mir

Weil es gerade so schön ist: Nach sowas wie meinem zweiten ist heute sowas wie mein dritter Geburtstag. Der letzte Novembersamstag vor vier Jahren fuhr mir richtig ein. Damals hatte ich das erste Mal eine Panikattacke.


Es war ein Samstag wie die meisten Samstage: Ich musste noch dies und musste noch das. Ich hatte mich die letzten Monate mit Arbeit zugedeckt. Es war motivierende Arbeit. Dazu gehörte auch ein Projekt, das an diesem Samstag seinen Abschluss nahm und das diesen Samstag anders als die meisten machte.


Abschied mit Schmerzen


Das Projekt war auch ein Abschied von einem langjährigen, geliebten Arbeitsinhalt. Sein Name und das Lied dazu lauten #HERBSCHTIMSCHLITZ. Nicht typisch meine Musik, aber typisch mein Gefühl für das Glarnerland. Hier richtet sich recht viel nach dem Rhythmus der Sonne. Ob sie besonders grosszügig oder knauserig scheint: Mir gefällt diese natürliche Autorität.



An diesem Samstag war ich aufgeregt. Für den Abend war die Video-Vernissage angesagt. Ich ging noch die fehlenden Sachen dafür in Glarus einkaufen und musste noch putzen. Ein paar Tage zuvor begannen wiedermal meine Schmerzen am linken Fuss. So stark, dass ich Medikamente nahm.


Weil sie nicht wirkten, wie ich mir das wünschte, nahm ich schon vor Ablauf der zwölf Zwischenstunden die nächste Tablette. So konnte ich ohne Schmerzen Laden um Laden abklappern. Ein «Hallo» hier, ein «Ich muss gleich weiter» da und eine Gequatsche mit einer Zigarette dort waren auch dabei.


Alarm auf der Brücke


Endlich auf dem Heimweg, hatte ich es noch eiliger. Zum Glück wirkten die Medikamente, denn ich war, wie immer, zu Fuss unterwegs. Meine Schritte wurden schneller und die Gedanken zahlreicher – die Atmung wurde flacher und die Zeit knapper.


Auf der Brücke über die Linth wurde der Umgebungslärm immer lauter, noch lauter als sonst. Meine Atmung hörte am Hals auf und ich spürte mein Herz nicht mehr schlagen. Hatte ich zu viele Medikamente genommen, zu viel Kaffee getrunken, zu viel geraucht?


Da war sie und da blieb sie mitten auf der Brücke: Die Angst vor einer Überdosierung, die Angst vor einem Herzinfarkt, die Angst zu sterben, die Angst allein zu sein, die Angst vor allem.



Hilfe in der Nähe


Einen langen Moment lang konnte ich mir nicht vorstellen, wie ich die letzten paar hundert Meter nach Hause komme. Ich schaffte es. Zuhause begann ich den Vesuch, mich zu beruhigen, mich hinzulegen und hinzusetzen, mich langsam zu bewegen. Doch alles blieb im Angstmodus: mein Atem, mein Herz, ich. Und ich war allein damit.


Zwei Anrufe genügten aber zum Glück. Ich erreichte ein befreundetes Paar, das per Zufall in der Nähe war und zu mir kommen konnte. Sie fuhren mich zum Notfall ins Kantonsspital. Die vermeintliche Überdosis wurde mir aus dem Körper gepumpt. Ich beruhigte mich und hörte auf der anderen Seite des Vorhangs, wie sich eine Tochter um ihren Vater sorgte.



Es war ein intimer Moment, den ich damals mit diesen beiden Unbekannten teilen durfte. Dieser Moment tat mir gut – und in diesem Moment kam ich mir gleichzeitig etwas doof vor mit meinem Anfall. Schlussendlich sagte mir der Notfallarzt, an den Medikamenten habe es nicht gelegen, es sei eine Panikattacke gewesen.


Die beiden Freunde und das Notfallteam waren in dieser Situation mit einer ziemlich überwältigenden Selbstverständlichkeit für mich da. Auch das tat mir gut und tut mir noch heute gut, wenn ich mich an diesen Tag erinnere.


Nicht ohne meinen Schmerz


Wie vor vier Jahren diese bekannten und unbekannten Menschen, sind meine Schmerzen immer an meiner Seite. Nicht nur seither, sondern seit ich erwachsen bin. Eine Phase lang waren sie im Rücken, immer wieder an den Füssen, natürlich im Nacken, manchmal am Knie und seit dem ersten Corona-Jahr durchgehend im Schulterbereich und in den Oberarmen.


Manchmal mache ich meinen Schmerzen ein Ende mit einer Ecofenac. Manchmal beginne ich wieder mit Übungen oder Bewegungstraining, bis ich beides wieder aufgebe. Manchmal verschwinden die Schmerzen ganz, wenn ich mich sehr wohl fühle. Und manchmal verlagern sie sich an einen anderen Ort – manchmal in die Seele, woher sie vermutlich kommen.



Überhaupt sind meine Schmerzen offenbar das Kommunikationsmittel zwischen meinem Körper und meiner Seele. Akute Schmerzen zeigen laut Unispital Zürich, dass etwas nicht in Ordnung ist. Chronische Schmerzen können sich verselbständigen und ohne organische Ursache auftreten.


Eine Weile nach meiner ersten Panikattacke hatte ich wiederholt Anzeichen für eine weitere. Es war nie mehr so schlimm und ich kam meistens mit tiefem Ein- und Ausatmen raus. Es hatte nie mehr was mit der Angst vor einer Überdosis Schmerzmittel zu tun.


Es sieht ganz danach aus, dass meine Schmerzen und ich aus gutem Grund zusammengehören. Immerhin spüre ich mich dadurch ja auch. Eigentlich bin ich sogar recht froh darüber, dass sie im Körper sind und nicht ständig in der Seele bleiben – wenigstens solange sie der Körper verkraftet.



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