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Schrei nach Ruhe

Heute ist der 25. Tag gegen Lärm. Deshalb werde ich mal wieder ein bisschen laut für die Ruhe. Den Anfang macht ein Lied zum silbernen Jubiläum des «International Noise Awareness Day».



Und dann gibt es heute eine Tribüne für mich in den Glarner Nachrichten.


Schluss mit Kleinreden


Endlich Frühling! Die Landschaft wird grüner, die Gärten werden bunter und die Menschen eine Spur fröhlicher. Mitten in der aufmunternden Stimmung fokussiert der heutige Tag gegen Lärm auf lärmige Gartenarbeit. Will man uns auch das Gärtnern noch vermiesen? Diese Frage stelle selbst ich mir als Verfechter für mehr Ruhe reflexartig.


Reflexe sind da, um genauer hinzuhören. Der Garten oder Balkon gilt als Ort der Ruhe und Entspannung. Für das Gegenteil sorgt der Lärm. Denn Gärten sind auch ein Tummelplatz motorbetriebener Geräte. An sonnigen Tagen knattern sie stundenlang im Quartier. Dass das nervt, wissen viele aus Erfahrung. Dass das krank macht, davon wollen die wenigsten was wissen.


Lärm löst Stressreaktionen aus. Die Atem- und Herzfrequenz steigt. Gehirn und Muskulatur werden maximal mit Sauerstoff versorgt. Diese Organe sind für die Flucht wichtig. Als einmalige Reaktion auf Gefahr, die Lärm suggeriert, ist dieser Mechanismus lebensrettend. Chronisch wiederholt schädigt er die Gefässe aller Organe. Zu den gesundheitlichen Folgen zählen Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.


Pro Jahr sterben in der Schweiz 500 Menschen an einem Lärm induzierten akuten Herzinfarkt. Das sind doppelt so viele wie im Strassenverkehr und zwei Menschenleben im Glarnerland.



Zurück in den Garten: Der Rasen muss mal gemäht und die Hecke geschnitten werden. Auch das Laub muss weg. Das geht alles leise. Verzichten Sie zum Beispiel auf Geräte mit Benzinmotor; es gibt leisere elektrische Alternativen. Oder steigen Sie auf Handarbeit um – sie schont die Umwelt und ist im Sinne von «Muskeln statt Motoren» sogar gesund.


Leise ist im Garten nicht per se besser. So machen leise Mähroboter den Garten für Igel, Amphibien oder Insekten zur tödlichen Falle. Laubbläser wirbeln unabhängig von ihrer Antriebsform Käfer, Asseln und Spinnen durcheinander und töten sie – ausserdem verteilen sie Feinstaub in die Atemluft.


Im Garten greift man also besser zu Besen und Rechen. Ist trotzdem ein motorbetriebenes Gerät nötig: Verwenden Sie es im Sparmodus und sprechen Sie lärmige Arbeiten mit Ihren Nachbarn ab.


Also geht es am Tag gegen Lärm darum, leiser und schonender gegenüber der Umwelt zu gärtnern. Persönlich habe ich das Glück, dass mein Strassengarten zu klein ist für motorisiertes Gartengerät. Trotzdem ist er laut. Das hat mit der Quelle zu tun, die mit Abstand den meisten Lärm verursacht.


Dreimal können Sie raten, welche Quelle das ist. Sie verursacht in der Schweiz mit 32 Prozent den grössten Anteil unserer CO2-Emissionen und hinterlässt drei Mal mehr Kunststofftonnen in der Umwelt als das Littering. Und es ist die gleiche Quelle, die jedes Jahr zu 9,7 Milliarden Franken Kosten führt, ohne dass die Verursacher dafür bezahlen.



Richtig geraten: Die Hauptquelle für den gesundheitsschädlichen Lärm ist der Verkehr, insbesondere der Strassenverkehr. In der Schweiz sind offiziell 1,1 Millionen Menschen an ihrem Wohnort von übermässigem Strassenlärm betroffen.


Gemäss WHO treten Gesundheitseffekte nachts ab 40 und tagsüber ab 45 Dezibel auf. Der Schweizer Immissionsgrenzwert für Verkehrslärm liegt höher: nachts zwischen 45 und 60, tagsüber jeweils 10 Dezibel höher. Die Dunkelziffer der Lärmbetroffenen ist also hoch. Auf das Glarnerland umgerechnet, ist bis zur Hälfte der Bewohner:innen betroffen.


Wem die gesundheitlichen Argumente nicht genügen, den überzeugen vielleicht die wirtschaftlichen Fakten: Lärm verursacht jedes Jahr 2,8 Milliarden Franken Kosten. 80 Prozent davon verursacht der Strassenverkehr.


Trotzdem ist Strassenlärm als Ursache für Krankheit, Tod und milliardenhohe Kosten weder im klinischen Alltag noch auf dem politischen Parkett angekommen. Kein Wunder: Mit der Lärmbekämpfung im Strassenverkehr lässt sich (noch) kein Blumentopf gewinnen.



Dabei gilt auf der Strasse wie im Garten: Verzichten Sie auf den unnötigen Einsatz motorisierter Geräte. Wenn doch eines nötig ist: Fahren Sie innerorts ruhig, also langsam, und entscheiden Sie sich beim nächsten Kauf für ein leises Fahrzeug. Leise Motorfahrzeuge sind klein und leicht, haben schmale und lärmarme Pneus und verzichten auf Klappenauspuffanlagen oder andere unnötigen Soundverstärker.


Glarner Nachrichten 27. April 2022
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Aktionen zum Tag gegen Lärm 2022

Webinar «Gesundheitliche Folgen von Verkehrslärm» am 27. April 2022 von 19 bis 20 Uhr mit Martin Röösli Teilnahme für alle Interessierten offen und kostenlos Anmeldung: www.verkehrsclub.ch/webinare


Aufruf zum lärmfreien Gartentag am 30. April 2022 haben alle motorbetriebenen Gartengeräte Pause Informationen: www.lärm.ch/2022


Typisches Ziel für Whataboutism


Bei Debatten über Lösungen für das Lärmproblem – es ist laut WHO nach der Luftverschmutzung das zweitgrösste Gesundheitsproblem Europas – gehört Whataboutism zu den typischen Reaktionen.


Worum es sich bei dem Phänomen handelt und warum es je nach Anwendung Diskussionen abwürgt oder befördert, steht in einem anderen Blog ebenfalls heute und ebenfalls von mir geschrieben.



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