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AutorenbildDr. Wolf

Schonzeit für die Menschen

Manchmal ist es anstrengend, wenn wir Lebewesen uns begegnen. Ist der Jagdinstikt erst einmal geweckt, sind Fluchtwege gefragt. Das gilt für Tiere wie für Menschen – falls überhaupt ein Unterschied besteht.


Einen Unterschied sehe ich: Tiere dürfen geschossen werden und kennen eine Schonzeit. Menschen haben keine Schonzeit und dürfen nicht geschossen werden. Beiden gemeinsam ist, dass sie Jäger und Gejagte sindder Abstand dazwischen nennt sich Freiheit.


Schüsse ins Reich der wilden Tiere


Im Kanton Glarus war vom 2. bis 16. September Hochwildjagd, ausser am Bettag. Jagdbar waren Gamswild, Rotwild, Murmeltiere, Schwarzwild, Fuchs und Dachs. Gerade ist Niederwildjagd. Rehwild, Rotwild, Kahlwild und Spiesser müssen sich noch bis am 21. Oktober in Acht nehmen, ausser montags und freitags. Schneehasen und Schwarzwild flüchten bis am 30. November. Feldhase und Birkhahn sind ab dem 16. Oktober dran.


Ausserdem können gerade Fuchs, Stein- und Edelmarder, Dachs, Stockente, Reiherente, Tafelente, Blässhuhn, Kolkrabe, Rabenkrähe, Nebelkrähe, Eichelhäher, Elster, Ringeltaube, Türkentaube und Kormorane einen Schuss abkriegen. Erfolgreich geflüchteten Tieren blüht noch die Pass- und Fallenjagd oder die Herbst- und Steinwildjagd.


Erst zwischen Januar und März beginnen die Schonzeiten – ausser und jedenfalls im Kanton Thurgau für Waschbär, Marderhund, Bisamratte sowie für verwilderte Hauskatzen und Haustauben. Die kennen keine Schonzeit.


Eichelhäher © ARD Alpha | Fuchs © Nathan Anderson | Waschbär © Danika Perkinson | Kormoran © Pete Godfrey


Beinahe vergessen oder verdrängt: Auch Wölfe werden gejagt. So erlegte die Glarner Wildhut in der Nacht vom 13. auf den 14. August 2022 eine Fähengenossin. Und vom 28. auf den 29. Dezember 2022 erwischte es bei einer Rudelregulation einen Jungwolf.


Am 16. Oktober 2023 erteilte das Bundesamt für Umwelt seine Zustimmung für die Regulierung des Kärpf- und des Schiltrudels. Die vorgesehenen Abschüsse durften bis längstens am 31. März 2024 ausserhalb der Jagdbanngebiete erfolgen.


2024 verlief der Glarner Alpsommer recht glimpflich: Wölfe rissen insgesamt vier Nutztiere. Die geringe Zahl ist auf konsequenten Herdenschutz sowie auf die Regulierungsmassnahmen und die Abwanderung des Schiltrudels zurückzuführen.


Alltagsjagd im Menschenland


Menschen jagen und schiessen nicht nur Tiere. Sie tun das auch untereinander. Bei diesem Gedanken geht's noch nicht mal um Mord- und Totschlag, Krieg oder Flüchtlingsströme. Dazu liesse sich ein eigener Blog aufziehen. Hiert geht's um alltägliche Jagd und Flucht.


Neulich klappte ich im Zug mein Laptop hoch. Schon beim Einsteigen bemerkte ich einen Störefried im Wagen. Schnell hatte er mich im Visier und begann mich zu beschimpfen, dass ich keine Ahnung von Arbeit hätte. Auf die Frage, warum er mich bei meiner Arbeit störe, hatte er keine Antwort. Ich versuchte mich weiter der Recherche über Inklusion und politische Teilhabe beeinträchtiger Menschen zu widmen.


Doch der Störefried frönte seinem Jagdtrieb weiter. Nach einer Weile stand mein Sitznachbar auf und brüllte ihn mit bebender Stimme an, er soll endlich aufhören. Das hielt den Jäger nicht von seiner Beute ab. Er hatte mich weiterhin im Visier und nannte mich innerhalb weniger Minuten mehrmals lauthals Schwanzlutscher.


Während ich darüber nachdachte, ob das für mich überhaupt ein Schimpfwort ist, mir aber mit zitternden Händen klar wurde, dass es für den Jäger sehr wohl die Munition war, traf der Kondukteur ein. Er entschuldigte sich bei mir und erklärte, der Störefried sei bahnbekannt und hätte eine psychische Krankheit.


Darauf entegnete ich: «Sie müssen sich nicht für andere entschuldigen. Inklusion und Gleichstellung bedeuten doch, dass auch psychisch kranke Menschen andere nicht folgenlos beleidigen können.»



Bis zum Schluss der Szene, als ich auf einen anderen Platz flüchtete und mein Jäger aus dem Zug stieg, siezte ich den Störefried. Diese Massnahme hielt mich auf Abstand und führte zu keinen Schwerverletzten.


Einige Menschen, denen ich diese Geschichte erzähle, reagieren mit: «Deshalb fahre ich Auto!» Darauf schüttle ich meistens nur innerlich den Kopf, in welchem dann ein Film abläuft, bei dem ich selbst den Jäger spiele:


«Es beleidigt mich, dass du bewusst zu wirtschaftsschädlichem Stau, zukunftsgefährender Umweltverschmutzung und menschenfeindlichen Fluchtbewegungen beiträgst, nur um nicht beleidigt zu werden!» Beleidigte Leberwurst aka Fee


Punktlandung ins alltägliche Jagdrevier Nummer 1: Das Auto (wie wir es nutzen) trägt wesentlich zur gesellschaftlichen Ungesundheit bei. Kaum sitzen wir drin, verfluchen wir die anderen, die das Gleiche tun. Die vorne fährt zu langsam, der links hat nicht geblinkt und die hinten hupen verachtend.


Bespiel Netstal GL: Mit der Querspange haben die Autofahr:innen eine lang ersehnte neue Strasse erhalten. Sie führt zum prophezeiten Zusatzstau. Deshalb jagen die verzweifelten Lenker:innen und die hilflosen Wirtschaftsverbände den Kanton mit der Forderung, eine Notlösung zu bauen. Die Lokalmedien lecken Blut und verstärken den Effekt des genauso reichweitenstimulierenden wie vermeintlichen Skandals um ein Luxusproblem.


Das Ganze schreckt Vereine wie die VCS-Sektion Glarus, andere Organisationen und Personen auf, Einsprache gegen absurde, auf rein politischem Druck basierenden Lösungen zu erheben. Mit der Zeit befinden sich so immer mehr Jäger im Gelände, die gegenseitig aufeinander schiessen.



Auch auf nationaler Ebene sind Vereine wie der Verkehrs-Club der Schweiz aufgeschreckt. Bis am 24. November werden sie und die Menschen in der Schweiz mit fünf Milliarden Franken für den Autobahnausbau bombardiert, obwohl das Land für den Krieg sparen will.


Im Jagdgelände stehen sich weitsichtige Umwelt- und verblendete Wirtschaftsverbände gegenüber. Bei dieser Sehkraftverteilung sollte klar sein, wer besser trifft. Ist es aber nicht: Devote 56 Prozent der Stimmberechtigen legen ein Ja ein.


2023 verloren in der Schweiz 236 Menschen ihr Leben bei Strassenverkehrsunfällen. Gut für die Gesunhdeitsindustrie: 4096 Personen wurden schwer und 17'404 leicht verletzt. Ausserdem sterben jedes Jahr 500 Menschen an den Folgen des Lärms, den hautpsächlich der Strassenverkehr verursacht. Ein Personenwagen wiegt durchschnittlich 1,8 Tonnen, dessen menschliche Besetzung rund 100 Kilogramm. Eigentlich bräuchte es dafür einen Waffen- statt einen Führerschein. Klugscheisser:in aka Fee


Jagdbanngebiet für Liebe, Glück und Frieden


Weil der Verkehr ein Tummelfeld für die Alltagsjagd im Menschenland ist und die direkte Demokratie zwar wertvoll, aber ebenfalls ein riesiges Schweizer Jagdgebiet ist, dürften sich die Menschen hierzulande auch mal etwas gegenseitige Schonzeit gönnen.


Mitten im gewohnten Jagdfieber gelingt das vielleicht in einem ersten Schritt durch den Wechsel des Beutespektrums. Es lassen sich zum Beispiel Liebe, Glück oder Frieden ins Visier nehmen.



Wer sich den Griff nach einer schädlichen Dosis an Hilsfmitteln verkneifen kann, um Liebe, Glück und Frieden anzupeilen, kommt bei derartigen Beuten schnell zur Einsicht, dass sie nicht jagdbar sind und Strategien wie Selbstliebe, Achtsamkeit, Gelassenheit oder von mir aus auch Reslienz tauglicher sind.


Einfach daran ist leider nur, solche Ansätze ins Lächerliche zu ziehen. Obwohl natürlich auch Humor eine Strategie ist, um sich der Jagd zu entziehen ohne vor ihr zu flüchten – zumindest ein Quäntchen, weil auch beim Humor die Dosis das Gift macht.



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