top of page
AutorenbildFee

Verführerische Päcklisuppe

Wer nichts wird, wird Wirt. Ist ihm dies nicht gelungen, so reist er mit Versicherungen: Dieser Spruch begleitet mich von kleinauf – genauso wie Päcklisuppe.


Am liebsten mag ich «Graziella» und «Spargelcreme». Inzwischen kann ich der Verführung von Päcklisuppe meistens entrinnen, weil ich mir das Einkaufen bei Grossverteilern abgewöhnt habe. Und weil mir die Päcklisuppe aus dem Bioladen nicht mundet.


Auch das Arbeiten in der Versicherungsbranche habe ich mir abgewöhnt. 15 Jahre dauerte es, bis ich vor ebenfalls 15 Jahren den Ausstieg schaffte. Geblieben ist bis heute, dass ich mich recht gut in der beruflichen Vorsorge auskenne. Wer gleich wissen will, wohin dieser Beitrag führt, kann bei Revidieren, aber andersrum vorbeischauen.


Für alle anderen gibt's ein Stück meiner Lebens- und der schweizerischen BVG-Geschichte.


Mit Versicherungen reisen


Meine Versicherungsreise begann im Restaurant meiner Familie. Wirten hätte ich zwar interessant gefunden. Weil aber was aus mir werden sollte, gelang es mir nicht, es ernsthaft zu erwägen. Meine Mutter erzählte einem unserer Sonntagsgäste aus Zürich, dass ich eine Stelle suche. Er sagte mir, ich soll mich bei der Rentenanstalt bewerben.


Ich musste mich mehrmals bitten lassen, mich vorstellen zu kommen. Irgendwann merkte auch ich noch, dass die Personalabteilung wirklich an mir interessiert war. Also ging ich vorbei und war begeistert von der Aussicht auf einen soliden Job in der Stadt Zürich. Mit 21 Jahren trat ich meine Stelle im KMU-Geschäft der beruflichen Vorsorge an.


Zuerst arbeitete ich in der Alten Rentenanstalt, dann im Hauptgebäude. Man erzählte mir, dort hätte es früher einen Paternoster gegeben. Ob das stimmt, habe ich nie überprüft. Doch ich wäre damals gerne älter gewesen, um das noch erlebt haben zu können.



Viele der 15 Jahre bei Swiss Life wurden gut, sogar sehr gut. Ich lernte zum Beispiel Alex, Christian, Andy und Marcel kennen. Und ich lernte Priska, Angelika, Isabelle, Luzia und Barbara sowie Andreas, Roland, Hermann, Lukas, Roger und Fritz kennen. In einem Grosskonzern zu arbeiten, ist wie ein Leben in einer Parallelwelt mit eigenen Schauplätzen, Dörfern und Beziehungen.


Ich verdiente anständig, gehörte nicht zu den Grossverdienern und legte eher Wert auf eine fachliche Karriere. Von 1996 bis 2000 studierte ich berufsbegleitend Betriebsökonomie. Meine Diplomarbeit handelt(e) von der 1. BVG-Revision und peppte meinen Notendurchschnitt auf.



Die Studiengebühren übernahm meine Arbeitgeberin mit der Auflage, noch eine Weile zu bleiben. Das war nachvollziehbar für mich und ich hatte sowieso keinen anderen Plan. Gleichzeitig wuchs meine Skepsis dem BVG-Geschäft und der Versicherungsindustrie gegenüber, zum Beispiel als CEO Rolf Dörig das versammelte Personal – hemdsärmelig auf einem Tisch stehend – aus einer Krise heraus motivieren wollte.



Auch nach 15 Jahren hatte ich zwar keinen Plan, kündigte aber nach einer weiteren der zahlreichen Reorganisationen ins Blaue hinaus. Der Absprung tat mir gut.


Zu den Erinnerungen an meine Versicherungsreise gehören heute noch eine dritte Säule, das «W» von «Rentenanstalt/Swiss Life» der ausgewechselten Leuchtreklame am Mythen-Quai in Zürich, ein Fingerhut-Hocker aus dem Swiss Life Pavillon an der Expo.02 auf der Arteplage in Yverdons-les-Bains, eine Beige Grusskarten und eine innere Alarmanlage bei vorsorgepolitischen Themen.


Die Alte Rentenastalt, das Hauptgebäude und das Binz Center waren nebst Wollishofen meine Arbeitsorte.

Bilder: archINFORM, Sidonius auf Wikimedia und Swiss Life


«Grosse Pensionskassen, gelistete Immobilienfirmen, Immobilienfonds und mit der Swiss Life auch die grösste Lebensversicherung der Schweiz sind Grossgrundbesitzer. Allein die Swiss Life besitzt Immobilien im Gesamtwert von mehr als 116 Milliarden Franken – fast doppelt so viel wie der grösste Immobilienfonds der Welt, wie Analysten und Analystinnen der Bank Vontobel berechnet haben. In Europa ist die Swiss Life damit die zweitgrösste Immobilienbesitzerin, weltweit die Nummer 15. Handelszeitung, 30. September 2022

Doch noch was werden


Wer nichts wird, wird Wirt. Ist ihm dies nicht gelungen, so reist er mit Versicherungen. Stösst selbst das nicht auf Interesse, bleibt noch die Politik, meine Fresse: Da bin ich nun also gelandet, um vielleicht doch noch was zu werden.


Einer, der einen umgekehrten Weg gemacht hat, ist Danny Schlumpf. Der frühere Bundeshausredaktor beim Sonntagsblick ist heute Pensionskassenexperte und hat das Rentendebakel geschrieben. In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung plädiert er für die Ablehnung der BVG-Revision am 22. September.


«Die Reform soll mehr Menschen mit tiefen Einkommen einen Zugang zur zweiten Säule ermöglichen. Doch die Senkung der Eintrittsschwelle hat gerade einmal 70'000 neue Versicherte zur Folge. Das wären 1,3 Prozent mehr Versicherte als heute. Und was genau haben sie davon? Sie zahlen mehr ein, doch weil viele von ihnen auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind, haben sie am Ende nicht mehr Rente auf dem Konto. Die Veränderung des Koordinationsabzugs wiederum hat zur Folge, dass mehr Versicherte mehr einzahlen. Doch die Glättung der Beitragssätze zugunsten der älteren Angestellten wirkt in die entgegengesetzte Richtung. Hinzu kommen die Rentenzuschläge, deren Umsetzung völlig unklar ist. In Kombination mit der Senkung des Umwandlungssatzes bilden diese Elemente ein Flickwerk, das für die Leute kaum zu durchschauen ist. Deshalb ist die Vorlage auch eine demokratiepolitische Zumutung.» Pensionskassenexperte Danny Schlumpf im WOZ-Interview

Ein anderer Journalist ist auch auf dem Weg in die Politik. Ueli Schmezer hat letzten Herbst zwar die Wahl in den Nationalrat verpasst, könnte aber den Sitz von Matthias Aebischer erben. Auch Schmezer spricht sich für ein Nein zur BVG-Revision aus – mit dem Päcklisuppenvergleich.



«Auf den Punkt»: Mehr zahlen, aber weniger bekommen? Ueli Schmezer über die sogenannte BVG-Revision, über die am 22. September abgestimmt wird. Quelle: nau.ch


Auch ich bin gegen diese BVG-Revision und könnte Schlumpf, Schmezer oder meine Politkolumne vom 2. August hier weiter nachplappern. Noch lieber gehe ich der Päcklisuppe auf die Spur, die sich die Schweiz seit über 50 Jahren einbrockt.


Der Päcklisuppe auf der Spur


Es existiert ein Protokoll darüber, worum es bei der Abstimmung von 1972 über die Einführung des Dreisäulenystems der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge tatsächlich ging und wie sich die beteiligten Kräfte oganisierten, um die obligatorische zweite Säule einzuführen.



Auch das Rentendebakel von Danny Schlumpf und Mario Notaris macht deutlich, wie Banken und Versicherungen die zweite Säule in ein intransparentes Gebührensystem verwandelt haben, das ihnen fette Gewinne beschert.


«Seit dem Obligatorium von 1985 zwingt der Staat die Versicherten zur Einzahlung in die zweite Säule und überlässt der Finanz­branche die Verwaltung des Geldes. Die Gesetze sind lasch, die Aufsicht ist schwach, auch weil Politiker:innen am System mitverdienen.» Das Rentendebakel: Wie Politik und Finanzindustrie unsere Vorsorge verspielen (2022)

Die anstehende BVG-Reform treibt dieses System, das Missbrauch an einem Sozialwerk ermöglicht, noch weiter an. Dabei haben die Pensionskassen genug Reserven. Seit 2002 sind die Renten um 40 Prozent gesunken, die Lohnbeiträge sind aber seit 2015 um 15 Prozent gestiegen. Und die Gebühren für die Versicherten haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt.



Und die Pensionskassen legen das Volksvermögen noch nicht mal gut an: Das vergleichbare norwegische Rentensystem erreicht laut Danny Schlumpf bei zehnmal tieferen Gebühren das Doppelte der Rendite der Schweizer Pensionskassen.


Mit Blick auf meine Diplomarbeit zur 1. BVG-Revision bin ich heute nicht mehr mit allen meinen damaligen Schlussfolgerungen einverstanden – es war schon damals eine demokratiepolitische Zumutung. Schon damals begleitete mich das Gefühl: Wenn das BVG dermassen schleierhaft ist, gehört es unter die Lupe genommen.


Oder anders gesagt: Für ein Nein zum BVG-Bschiss muss man nicht verstehen, worum es geht – es reicht allein der Umstand, dass man es nicht versteht.


Suppe selbst einbrocken


Im Kanton Glarus haben sich die Grünen für ein Ja zur BVG-Reform entschieden. Wohl aus basisdemokratischen Gründen, also voll in Ordnung. Offenbar verführt sie aber das Peterli – die Versicherungsaufnahme von mehr Teilzeitbeschäftigten – auf der Päcklisuppe. Die Jungen Grünen dagegen lassen sich nicht vom Dekokraut beeindrucken.



Es würde was fehlen, wenn dieser Beitrag kein Suppenrezept enthielte. Zwar plädiere ich nebst der freien Pensionskassen- auch für die freie Suppenwahl, doch eine selbstgemachte Version schmeckt und tut einfach besser.


Kräuter-Spinatsuppe

2 Zwiebeln

200 g mehlig kochende Kartoffeln

1 EL Olivenöl

6 dl Gemüseboullion

2 dl Mandelmilch

100 g Jungspinat

1 Bund Petersilie

Salz, Pfeffer


100 g Mandeln

100 g entsteinte grüne Oliven

1 EL Olivenöl


  • Zwiebeln und Kartoffeln in Stücke schneiden, im warmen Öl andämpfen.

  • Bouillon und Mandelmilch dazugiessen, aufkochen, Hitze reduzieren, ca. 15 Min. köcheln. Spinat und Petersilie zur Suppe geben, pürieren, würzen.

  • Mandeln und Oliven grob hacken, im heissen Öl ca. 5 Min. braten, über die Suppe streuen.


Quelle: Betty Bossy


Dem Trugschluss ein Ende setzen


Es würde auch was fehlen, wenn dieser Beitrag unmusikalisch bliebe. Weil die Päcklisuppen-Strategie auch zum Trugschluss führt, dass es bei der Altersvorsorge um die Solidarität zwischen Jung und Alt geht, steht der Bandname Ricchi e Poveri – Reiche und Arme – für die Solidarität, die wirklich zählt.


«Dimmi quando» kam 1985 heraus, als die Schweiz das BVG-Obligatorium einführte. «Sag mir wann» frage auch ich mich: Wann wird den Menschen in der Schweiz klar, dass sie die Kunden im Vorsorgeschäft sind und – statt immer mehr zu bezahlen, um immer weniger zu erhalten – endlich ein gutes Angebot einfordern müssen. Prego am 22. September mit einem Nein zur BVG-Reform.



2 Kommentare


th.schaer
08. Sept.

Was für ein spannender, kluger und informativer Blogbeitrag. Ich danke dir für dein Engagement!


Thomas

Gefällt mir
Werner Kälin
Werner Kälin
10. Sept.
Antwort an

Lieber Thomas Vielen Dank für die 💐 und dafür, dass du den Beitrag gelesen hast. Bis bald! Werner

Gefällt mir
glitter_blau.png
bottom of page