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AutorenbildWerner

Als Glarus brannte und Frauen köpfte

Die Glarner Gemeindefusion von 2011 ist die weitreichendste Gebietsreform der Schweiz in jüngerer Zeit. Nebst dem politischen und finanziellen Aspekt gehört zur Fusion auch der gesellschaftliche Prozess.


Dabei helfen durchaus die Jubiläumsbänkli in jedem Glarner Dorf zum Innehalten, aber auch das kulturelle Angebot im ganzen Glarnerland, das sich sehen lässt.



10 kulturelle Erlebnisse zum Zehnjährigen


Auch für mich ist 2021 ein Zehnjähriges. Seit 2011 lebe ich im Kanton Glarus. Es war ein positiver Kulturschock. Zwar war es zuerst die Natur, die mich vom Glarnerland überzeugte. Kaum war ich da, war es aber ebenso die Kultur. Von ihrer Vielseitigkeit und Reichhaltigkeit war ich erst mal überrascht.


Grund genug für eine kleine Kultur-Top-10 und eine kleine Serie. Die ersten beiden meiner bleibenden kulturellen Erfahrungen im Glarnerland gehören für mich zu den herausragendsten.


«Glarus brennt»


2011 war es 150 Jahre her, seit die Stadt Glarus fast vollständig niederbrannte. Vom Gedenkprojekt Glarus brennt bekam ich den Anfang und das Ende mit. Den Anfang mit einem fast konventionellen Gottesdienst in der Stadtkirche und den Schluss mit einem total unkonventionellen Anlass auf dem Zaunplatz.


Der Abschluss war ein visuelles und akustisches Kunstwerk aus Feuer, Knallerei, wild durcheinander marschierenden und musizierenden Harmoniemusik-Formationen und keinem fixen Platzbereich für die Zuschauer:innen. Das Spektakel liess eindrücklich das Chaos und die Verzweiflung spüren, die in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1861 in Glarus herrschten.



Zwischen Eröffnung und Abschluss standen auch eine Ausstellung und ein Schauspiel auf dem Programm. Ein bisschen bereue ich es heute, das Freilicht-Spektakel verpasst zu haben.


Für das Gedenkprojekt verantwortlich waren zwei Menschen, deren Wege sich in den folgenden zehn Jahren immer wieder mit meinen kreuzten. Sie werden es, so gut wie sicher, auch in Zukunft tun.


Erinnerungskultur an Anna Göldi


Schon weit vor meinem Zuzug prägte eine Frau meine Sicht auf den Kanton Glarus. Sie ist heute als «letzte Hexe» bekannt. Als der Film über Anna Göldi herauskam, war ich 18 Jahre alt. Ein Film über die Zerrissenheit einer Übergangszeit.


So färbt sich gegen das Ende, während Anna Göldi geköpft wird, das Linthwasser rot. Nicht etwa durch ihr Blut, sondern wegen eines neuen Färbverfahrens, das den Glarner Textilpionieren gerade gelang. Auch heute vollzieht sich ein Übergang. Dehsalb ist mir Anna Göldi nah.



2010 wurde in Mollis das Freilichtspiel «Annas Carnifex» aufgeführt. In Mollis befand sich damals auch das Anna Göldi Museum. Inzwischen ist es in den Hänggiturm nach Ennenda umgezogen – auch deshalb ist mir Anna Göldi nah. Das moderne Museum befindet sich in einem «Hänggiturm», wo in der Blüte des Glarner Textildrucks Stoffe zum Trocknen aufgehängt wurden.


Am ehemligen Fabrikkamin beim heutigen Museum ist von Weitem der Schriftzug ANNA zu sehen. Und im Kantonshauptort erinnert ein dezent leuchtendes Mahnmal am Gerichtsgebäude an die Geschichte der Magd. Die Erinnerungskultur an Anna Göldi zählt zurecht zu den lebendigen Traditionen des Kantons Glarus.


Leider sind einige Glarner:innen nicht erfreut über die Berühmtheit der Geschichte. Sie mache sie zu «Hinterwäldlern», die – noch nach allen anderen – eine Frau als Hexe hingerichtet hätten. Als Reflex verständlich, als bleibende Haltung ignorant.



Für mich waren die Glarner:innen nie nur die Letzten, die eine Frau als Hexe verurteilten und deshalb töteten. Sie sind für mich auch die Ersten, die eine solche Frau durch ein Parlament rehabilitierten. Die Fähigkeit, Fehler einzugstehen, sich dafür zu entschuldigen und etwas damit zu bewegen, zog mich auch ins Glarnerland.


Und es war auch der Mut der Glarner:innen, zu den Ersten zu gehören und dadurch nicht weniger zu erreichen, als Vorreiter:in zu sein: Sei es zum Beispiel mit dem Fabrikgesetz, dem Stimmrechtsalter 16 oder dem Energiegesetz.


Diesen Mut hatte zum Beispiel auch der Glarner Tuchmacher Heinrich Hössli. Im Jahr 1836 brachte er das Buch «Eros» heraus. Es beschäftigt sich mit der Männerliebe. Hössli war fast zwei Jahrhunderte zu früh dran.


Quelle: Dieser Beitrag basiert auf meiner Top 10 im Kulturblog der Glarner Agenda.

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