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Den Doktor in der Liebe machen

Auf dem Weg zur Liebe können ziemlich grosse Brocken liegen – will man nicht vom Weg abkommen, muss man sie überwinden.


Unter dem Deckmantel der Liebe tauchen auch Phänomene auf, die sie zerstören, statt fördern. Ein besonders grosser Brocken auf dem Weg zur Liebe sind bei solchen Dynamiken die vernebelten Grenzen zwischen Täter:innen und Opfern sowie der Wechsel zwischen den beiden Rollen.



Anspruchsvoll und lohnenswert


Der Nebel wird so richtig dicht, wenn es um Schuldzuweisung oder -übernahme geht. Beide Konzepte gehen der Lösung des Problems, seiner Ursache, aus dem Weg. Dieser Verlockung zu widerstehen und sich dabei zu schützen ohne sich zu verschliessen – oder sich zu öffnen ohne sich zu verletzen – ist ziemlich anspruchsvoll. Noch einen Zacken anspruchsvoller ist es, das gemeinsam zu tun.


Nun: Liebe ist anspruchsvoll – ob in monogamen, offenen oder polyamoren Partnerschaften, in Freundschaften mit oder ohne Sex, mit Gleichgesinnten oder Verbündeten. Sich immer wieder auf die Liebe zu den Menschen zu besinnen – also auch dem Herzen und dem Bauch, statt nur dem Kopf zu vertrauen – ist wahrscheinlich der Schlüssel zum inneren Frieden und schlussendlich zu einem erfüllten Leben in einer begrenzten Zeit.



Zerstörerische Phänomene der Liebe


So sehr sich die meisten Menschen nach Liebe sehnen, so sehr sind sie geprägt von ihren Erfahrungen mit ihr. Das kann soweit führen, dass sich etwas zwar erst wie Liebe anfühlt, sich aber dann in Schmerz, Kummer und Angst verwandelt.


Bereits zu Beginn einer neuen Liebe kann es zu Love Bombing kommen. Damit ist nicht gemeint, einem Menschen zu zeigen, dass man mit ihm eine liebevolle und respektvolle Beziehung führen will. Es geht der ausführenden Person darum, Aufmerksamkeit zu erhalten, das Gegenüber abhängig zu machen und dazu zu bringen, sich nach den eigenen Wünschen zu verhalten.



Auf Love Bombing folgt nicht selten Gaslighting. Dabei führen Aussagen und Handlungen der einen Person dazu, dass sich die andere Person minderwertig fühlt – also sich selbst, ihre Gedanken, ihre Gefühle und ihr Handeln in Frage stellt. Das Opfer verliert seine ganze Energie und mit ihr den Glauben an die Berechtigung des eigenen Erlebens und Fühlens.


Ehrliche Absicht und eigene Wahrnehmung


Um Phänomenen wie Love Bombing oder Gaslighting nicht auf den Leim zu gehen, ist es am besten, bei sich selbst zu sein. Ganz so einfach wie klar ist das allerdings nicht. Was heisst denn schon, bei sich selbst zu sein und dort zu bleiben? Die Schuld auf sich zu nehmen oder sie von sich wegzuweisen, ist es schon mal nicht. Sich seiner Rolle – als Opfer oder als Täter:in und manchmal auch im Wechsel – bewusst zu sein schon eher.



Als vermeintliche:r Love Bomber:in kann man sich zum Beispiel ehrlich fragen, ob man jemandem Blumen schenkt, um Aufmerksamkeit zu erhalten und Abhängigkeit zu schaffen, oder ob man einfach liebevoll Freude bereiten will. Und als potenzielle:r Gaslighter:in kann man sich fragen, ob man jemandem die Energie entzieht, um sie oder ihn zu schwächen, oder ob man ein ehrliches und respektvolles Feedback geben will (oder muss), um das Gegenüber zu stärken.


Umgekehrt kann sich das vermeintliche Opfer auch fragen, ob hinter jedem Blumenstrauss Love Bombing oder hinter jedem Feedback Gaslighting steckt – oder ob es die früheren Erfahrungen mit Menschen und diesen Phänomenen sind, welche die Freude an den Blumen und die Annahme des Feedbacks eines völlig anderen Menschens verunmöglichen.



Spiralen vermeiden und Verletzungen heilen


Nun – muss es immer so anstrengend sein, wenn man sich kennen und lieben lernt? Nicht zwingend, aber manchmal halt schon. Es muss dabei nicht immer um Love Bombing und Konsorten gehen. Aber es geht darum, was man im Liebesrucksack mit sich trägt, und wie das auf neue Beziehungen mit anderen Menschen ausstrahlt.


Zum Beispiel die Erfahrung einer unschönen Trennung und die damit verbundene Schlussfolgerung, sich auf die eigenen Gefühle nicht verlassen zu können. Dazu sagte «mir» neulich ein:e bosnische:r Sänger:in:

«Meine Liebe ist immer echt – auch die, die nicht erwidert wird.» Božo Vrećo an den Stanser Musiktagen


Wenn ich jemanden kennenlernen will, heisst das: Ich bin an dieser Person und daran, wie sie ist, interessiert. Das kann auch heissen, dass ich mich verliebe, weil ich gern mit dieser Person zusammen bin – unabhängig davon, was einander verbindet und wohin das führt: Hauptsache es verbindet und führt weiter.


Mich persönlich macht das lebendig, aber es kann auch für mich anspruchsvoller werden, als mir lieb ist. Paartherapeut Eric Hegmann sagt im Netz dazu:


«Die zwei grössten Fehler sind, keine echte Nähe zuzulassen und keine emotionalen Kontaktflächen zu schaffen aus lauter Angst, verletzt zu werden, oder sich möglichst viel Mühe zu geben, um sich die Liebe des Schwarms verdienen zu wollen.» Eric Hegmann auf YouTube

Hegmann ortet grob zwei Gruppen von Verhaltensweisen. Die Ängstlichen suchen den Fehler bei sich mit der Folge, dass sie sich noch mehr Mühe geben – das wirkt verzweifelt und unsexy. Die Vermeidenden bleiben auf Distanz, weil sie gelernt haben, dass Nähe verletzlich macht – das wirkt selbsbewusst und sexy, obwohl hinter der Fassade die Angst vor der Verletzlichkeit steckt.


Treffen Menschen mit diesen rucksackbedingten Verhaltensweisen aufeinander, führt das zu einem Teufelskreis bis zum Abbruch der Beziehung. Der einzige Weg hinaus ist die Heilung der Verletzungen.



Wirklich reden


Zum Nachtisch gibt es noch ein weiteres Phänomen, das auf dem Weg zur Liebe auftauchen kann. Es nennt sich Ghosting und bezeichnet den plötzlichen Kontaktabbruch in romantischen Beziehungen oder Freundschaften und kann auch in geschäftlichen Kontakten vorkommen.


Bloss – warum ghosten Menschen? Meist empfinden es die Ausführenden leichter, den Trennungswunsch wortlos, statt persönlich zu übermitteln. Bei der persönlichen Variante ist schliesslich mit Kritik, Kränkung oder Wut zu rechnen. Viele Menschen können und wollen damit nicht umgehen.



Das Gegenteil von Ghosting, also keine Gelegenheit zum (heilenden) Gespräch zu erhalten, nennt sich Deeptalk – also tiefgründige Gespräche. Egal nämlich ob gute Freund:innen, Familie, Kolleg:innen oder neue Begegnungen: Es ist wichtig, die Menschen, mit denen man gerne zusammen ist, gut kennenzulernen und ihr Verhalten besser zu verstehen.


Für ein gutes Gespräch braucht es den Mut, sich zu öffnen und sich auch mal verletzlich zu zeigen. Diese Preisgabe stärkt soziale Beziehungen und das gegenseitige Vertrauen. Es schafft Nähe, und sein Gelingen ist deshalb wieder den Liebesrucksäcken der Beteiligten ausgesetzt. Im besten Fall führt das zur Heilung der Verletzungen.


Meinen Schlüssel zu dieser Nähe nenne ich seit Kurzem #neverletyourselfdown (again) – also bei mir selbst bleiben oder zu mir selbst kommen, statt mich selbst (meinen besten Freund) zu verlieren. Ob er passt und was es noch so braucht, wird sich zeigen.



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