Ihr habt doch schon alles!
- Fee
- vor 4 Tagen
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Aktualisiert: vor 1 Tag
Es ist wieder Zeit für eine Politkolumne im Lokalblatt. Und es ist Pride-Monat. Also nutze ich die Bühne, die mir die Glarner Nachrichten und die SP des Kantons Glarus bieten, für Gedanken zu einem Teil meines Lebens, der mich persönlich und politisch stark prägt.
Kennen Sie den Film «Bettgeflüster» von 1959? Die Liebegeschichte zwischen einer Frau, gespielt von Doris Day, und einem Mann, gespielt von Rock Hudson, lief im Fernseher meiner Kindheit auf und ab. Ich identifizierte mich mit Doris, weil ich auf Rock stand. 1985 erkrankte er an Aids. Das bedeutete nebst dem Todesurteil auch sein Zwangsouting als schwuler Mann. Für mich als Zwölfjähriger hiess es: Bin ich schwul, werde ich verteufelt und sterbe.
Damals hätten mir ältere Geschichten gezeigt, dass Schwulsein keine Modeerscheinung ist. Während der Glarner Heinrich Hössli (1784 bis 1864) als Erster ein Buch über Männerliebe schrieb, lebte der Toggenburger Jakob Rudolf Forster (1853 bis 1926) als erster Schweizer offen schwul.
Die erste Glarus Pride findet 189 Jahre nach Hösslis Buch und 127 Jahre nach Forsters Autobiografie endlich statt. Ihr Trägerverein sensibilisiert für die Vielfalt sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten sowie für Intersektionalität, fördert gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben und trägt zur Stärkung vielseitiger Lebensformen im Kanton Glarus bei.
Auch an Prides geht es nicht einfach um gleiche Rechte für hetero- und homosexuelle Paare. Geschlechtsidentität und Mehrfachdiskriminierung hängen ebenfalls damit zusammen. Prides erinnern an einen Aufstand vom 28. Juni 1969 in New York. Damals waren gewaltsame Razzien in Clubs, wo sich queere Menschen einen geschützten Raum erhofften, an der Tagesordnung. Angeführt wurden die Proteste von schwarzen Transfrauen wie Marsha P. Johnson.
Wenn queere Menschen, wie Jakob aus dem Toggenburg oder Marsha aus New York, ihre Existenz demonstrieren, stellen sie sich ins Rampenlicht, ohne Exklusivität zu fordern. Sie leisten damit ihren Teil der Integration, indem sie den weitestmöglichen Weg auf die Gesellschaft zugehen, statt sich aus Angst zu verstecken. An dieser Sichtbarkeit kratzen Putins und Trumps Politik ebenso, wie das ungarische Pride-Verbot und jede Absage von Prides wegen rechtsextremer Aufmärsche. Das Ziel: Löschen, wer nicht in den Kram passt.
Was aber bedeutet queer? Der Begriff ist eine positive Selbstbezeichnung für nicht heterosexuelle und nicht cisgeschlechtliche Personen. Die freiwillige Bezeichnung enthält die politische Botschaft: Wer nicht der Norm entspricht und dadurch Nachteile kennt, ist solidarisch mit anderen Menschen in ähnlichen Situationen. Das macht queer zu einer Basis für Vielfalt und Inklusion.
Manchmal werde ich gefragt: «Ihr habt doch schon alles, was wollt ihr denn noch?» Ja, ich konnte meine Rechte als schwuler Cis-Mann erkämpfen und werde sie verteidigen. FLINTA*-Personen sind aber nach wie vor weder gleichgestellt noch genügend geschützt. Oder es fehlen rechtliche Grundlagen für nicht-monogame Lebensmodelle wie polysecure Partnerschaften. Sie verstehen nur Bahnhof? Dann ist es höchste Eisenbahn für einen Besuch der Glarus Pride am 5. Juli – queer sein dürfen, müssen Sie dazu aber nicht.
Quelle: Dieser Beitrag ist usprünglich in den «Glarner Nachrichten» vom 6. Juni 2025 als Politkolumne «Zur Debatte – heute die SP» erschienen.
Don't miss: Am Samstag, 5. Juli 2025, gibt's die erste Glarus Pride im und um den Güterschuppen beim Bahnhof und Kunsthaus Glarus mit queerer Stadtführung, Lesung aus «Queer Kids», Chorkonzert mit schmaz und Dragshow mit Mono Gamie.
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