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AutorenbildOliver

Im Kern dieselben

Die Liebe trägt die Freundschaft mit Oliver. Heute gibt es wieder Post von ihm. Seine Liebe ist unantastbar – wir sind also schon zwei.


Lieber Werner


Vielen Dank für deinen letzten Glücks-Brief – er sprudelt voller Zuversicht und ist für mich mit Weisheit vollgepackt. Jeden Abschnitt kann ich unterschreiben. Glaube ich, einen Teil von mir darin wieder zu erkennen. Interessanterweise habe ich mich durch einen von dir zitierten Liedtext direkt angesprochen, fast angegriffen, gefühlt:


«Du hast es nur gut gemeint, kaum dass es dich freute. Die Sorgen gewälzt wie Teig für das Brot der Routine. Wie wirst du dich aus deinen Fesseln befreien? Wann können wir ganz sein?...Ehrlich und klar.» aus dem Lied «Wenn wir wieder werden» von Rainer von Vielen

Gute Frage. In der Ehrlichkeit und Klarheit liegt für mich ebenfalls der Schlüssel, so wie du es beschreibst und Mut dazu verortest: keine Flucht, schonungslose Wahrnehmung, Einordnung und allenfalls Mitteilung – ein persönlicher Kompass, den ich manchmal mit meiner Umgebung (mit-) zu teilen versuche.



Eckt auch immer wieder mal an. Insofern bin ich unsicher, ob ich den Liedtext richtig verstehe oder ob er für mich schlüssig ist, denn die Sorgen werden meiner Erfahrung nach erst zu Fesseln, wenn ich mich davon runterziehen lasse und nicht mehr an ein eigenes und gesamtes Ganzsein und Wohlergehen glaube. Eine Gratwanderung, welche möglicherweise erst durch die Versöhnung mit den Umständen ermöglicht wird. Versöhnung insofern, als dass ich versuche zu akzeptieren, dass ganz vieles rundherum, aber auch in mir, nicht nach meinen Wünschen läuft oder gar verheerend ist.



Die Melodie dieses Stückes klingt für mich nach Versöhnung und nach Dankbarkeit – ein Gebet.


Dabei merke ich immer wieder, dass mein Umgang damit, meine Perspektive, meine Bewertung vollumfänglich bestimmt, wie es mir dabei geht. Ob ich in einer Art Frieden bleiben kann oder in den Kampfmodus komme.


Versöhnung heisst für mich auch, dass ich anerkenne, dass wir Menschen im Kern alle dieselben sind, im selben Boot sitzen, mit unseren Gefühlen, Macken und Bedürfnissen. Ich bin nicht besser, nur anders. Vielleicht hilft es uns, die Position von Eltern gegenüber ihren Kindern oder die Haltung gegenüber Haustieren in Bezug auf unsere Mitmenschen anzunehmen, um verständnisvoller und liebevoller zu werden?



Und da bin ich wieder bei meinem ersten Brief, wo ich mein Bekenntnis, mein unbedingtes Festhalten, gerade in Zeiten des Zweifels, am Gutsein des Menschens aufrecht erhalten will und muss! Auch wenn wir uns trotzdem immer wieder in die Quere kommen. Das hält mir den Raum und verköpert für mich Vertrauen. Alles andere ist Fleischwolf. Vielleicht ist es ein Teil dessen, was im Christentum als «Glaube» bezeichnet wird?


Buch-Tipp: Der Historiker Rutger Bregman setzt sich in seinem Buch mit dem Wesen des Menschen auseinander. Anders als in der westlichen Denktradition angenommen ist der Mensch nicht böse, sondern, so Bregman, im Gegenteil: von Grund auf gut. Im Grunde gut – eine neue Geschichte der Menschheit von Rutger Bergmann

Und danke dir für die persönliche Erklärung zu deinem Gebet. Mich hat schon immer der gemeinsame Kern unterschiedlicher spiritueller Traditionen interessiert. Die Essenz dessen, was durch Jahrhunderte von allzu menschlichem Streben nach Macht oder Kontrolle durch spirituelle «Autoritäten» bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurde. Und von politischen und wirtschaftlichen «Autoritäten» in ihrem Bereich. Ein Grund dazu könnte die missglückte Kompensation oder ein hilfloser Versuch der Verarztung von erlittenem Unrecht sein.



Oder, wie es eine Psychologin deutet, dass die kulturell geprägte Erziehung von Kindern sie in Abhängigkeit der Bewertung anderer bringt – entgegen ihrem authentischen Kompass. Und dass alle Machtstrukturen auf dieser Erkenntnis gründen.


Eigentlich sollten wir gerade in schwierigen Situationen diese Haltung einander zeigen: Ich bin gut, du bist gut. Das ist für mich ebenfalls Liebe.


Aufgrund deiner Äusserung zum Videoclip «Nein, meine Söhne geb ich nicht» merke ich, dass der Text für mich noch eine weitergehende als die vordergründige Bedeutung besitzt: Meine Menschlichkeit und meine Liebe sind unantastbar!


Mit Liebe, Oliver

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