Heute vor 50 Jahren war autofreier Sonntag. Deshalb ist heute Kulturblog-Zeit. Worüber ich drüben in der Glarner Agenda geschrieben habe, gibt es jetzt auch hier.
Der 25. November 1973 war ein aussergewöhnlicher Tag. Es war der erste von drei autofreien Sonntagen in der Schweiz. Zum Fünfzigjährigen kann ein Rückblick auf diese gesellschaftliche Grossmassnahme mit einem Schwenker in die kulturelle Gegenwart auf der Strasse kaum verkehrt sein – es scheint sich schliesslich so einiges im Kreis zu drehen.
«Wir mussten zu Fuss im Schnee mit dem Kinderwagen zur Kirche», erzählt mir meine Mutter immer wieder von meiner Taufe. Wohl deshalb interessierte es mich schon von klein auf, was es mit diesem autofreien Sonntag auf sich hatte. Und weil ich heute vor 50 Jahren erst sechs Wochen alt und noch zu klein war, um den Tag bewusst wahrzunehmen, wünschte ich mir immer einen solchen autofreien Sonntag.
Noch heute wünsche ich mir einen autofreien Sonntag in der Schweiz. Noch lieber zwölf im Jahr, die das Stimmvolk am 28. Mai 1978 ablehnte. Am 18. Mai 2003 reichte es auch für einen autofreien Sonntag pro Jahreszeit nicht.
Was geschah 1973?
Den autofreien Sonntagen ging ein Krieg voraus: Am 6. Oktober 1973 eröffnete Ägpyten das Feuer gegen Israel. Helikopter setzten Soldaten am Suezkanal ab. Fast gleichzeitig griff Syrien auf den Golanhöhen israelische Truppen an und besetze den Berg Hermon. Bis Israel zurückschlug.
Länder wie Algerien, Irak, Katar, Kuwait, Libyen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate drosselten ihre Ölförderung. Am 17. Oktober 1973 stieg der Rohölpreis von 3 auf 5 US-Dollar pro Fass (1 Barrel, 159 Liter), eine Zunahme von 70 Prozent. In den folgenden zwölf Monaten vervierfachte sich der Preis auf über 12 Dollar.
Was geschieht 2023?
Nach 50 Jahren wähnen wir uns im Kreis gedreht: Inzwischen kostet das Barrel Öl (Brent) 80 US-Dollar – eine Zunahme um 567 Prozent. Ein weiterer Krieg in Isreal ist ausgebrochen. Und auch heute ist Ölkrise – manchmal auch Energiekrise. Zwar ist Öl in Hülle und Fülle vorhanden, seine Nutzung führt aber zur lebensbedrohlichen Klimaerwärmung und Umweltzerstörung. Für eine überlebenswillige Zivilisation ist Öl eigentlich wertlos.
Trotzdem scheint es, als ob sowohl das Öl als auch das Auto zu einer modernen Zivilisation gehören. Alleine durch die Zeit und die Nerven, die es uns kostet (im Stau, bei der Parkplatzsuche, an der Tankstelle, in der Waschanlage) und das Geld, das wir dafür ausgeben (für Benzin, Diesel oder Strom, für Leasingraten, Service, Versicherungen, Steuern und Abgaben, für Infrastrukturkosten, Umwelt- und Gesundheitsschäden) dominert es unsere Bewegungskultur.
Immer mehr Autos führen zu immer mehr Strassen, könnte man meinen. Dass das Umgekehrte der Fall ist, weiss man inzwischen. Trotzdem werden immer mehr Strassen gebaut, entstehen mit ihnen immer mehr Kreisel und tauchen immer mehr Fragen auf, wie diese aussehen und welches Zeichen sie im Kreisverkehr setzen. In der Schweiz werden Kreisel gerne verziert, so auch im Glarnerland.
Wandermönch als Zeichen der Zeit
Aus künstlerischer Betrachtung gefällt mir der Landsgemeindekreisel eingangs Glarus recht gut. Seit Kurzem hat er in meiner persönlichen Glarner Kreiselhitparade Konkurrenz in Näfels erhalten. Dort wurde der Kreisel-Fridolin am Richtfest vom 27. September 2023 feierlich und ökumenisch eingeweiht.
Für eine Sequenz von wenigen Minuten wähnte ich mich an einem autofreien Sonntag. Nämlich als die Harmoniemusik Näfels, die geladenen Gäste und die einladenden Gemeindevertreter:innen auf den Kreisel kletterten.
Die Musikant:innen spielten den Fahrts Marsch, den Arosa Marsch und die Diavolezza, während die Motorfahrzeuge im Kreisverkehr dazu brummten und einigte durchaus aus Freude hupten. Eingeweiht wurde Jacky Orlers Fridolin-Skulptur mit einem hölzernen Körper und einem bronzenen Kopf.
Irgendwie stolz, irgendwie auch beruhigend steht er nun da in der Mitte der Verkehrsmassnahme und begrüsst oder verabschiedet die Autofahrer:innen. Als Schutzpatron des Kantons Glarus und Wandermönch wird er vielleicht Unfälle verhüten und den einen oder die andere Lenker:in davon überzeugen, das Glarnerand vor dem Klimawandel zu schützen und ein bisschen öfter zu Fuss zu gehen.
Beim abschliessenden Apéro im Dolder-Haus in Näfels erfuhren die Gäste und Gastgeber von der Künstlerin, dass ihre Grosi sie beim Kreisel-Fridolin inspirierte. Was dabei herausgekommen ist, sehen viele Autofahrer:innen nun in ihrem Alltag. Eigentlich schade, ist die Skulptur für andere Verkehrsteilnehmer:innen nicht, selten oder nur von Weitem zu sehen.
Impulse für die Verkehrskultur
Etwas weniger als zwei Monate nach dem Richtfest zum Kreisel-Friolin haben etwas weniger Teilnehmer:innen den Weg zum Klimatreff vom 17. November 2023 im Zeichen der Aktionstage Verkehrswende jetzt! ins Wortreich Glarus gefunden. Das Publikum konnte einen von drei Wunschiflmen wählen, die alle Langsamverkehrsformen als verbindendes Element haben. Die Wahl fiel auf den Schweizer Film Dead Fucking Last von Regisseur Walter Feistle.
In der Komödie geht es um Tom, Ritzel und Andi, die vor 20 Jahren das Velokurierunternehmen «Die Genossenschaft» gegründet hatten. Sie waren über Jahre Marktführer in Zürich, bis die jüngere, weibliche und digitalisierte Konkurrenz auftauchte: die «Girls Messengers». Velokurier:innen gehören in Städten zu den mutigen, frechen und coolen – manchmal auch nervenden – Menschen, die sportlich, wendig und umweltfreundlich Transportaufträge ausführen.
Noch etwas weniger Teilnehmer:innen wagten sich am Folgetag und ebenfalls im Rahmen der Verkehrswende-Aktionstage an den Carfree Shopping Day, der vielleicht eine Cricital Mass hätte werden können – in Städten wie Zürich findet dieses gemeinsame Velofahren jeden letzten Freitag im Monat statt. Eine Critical Mass ist keine Demo, sondern einfach Verkehr. Im Glarnerland dazu aufgerufen hatte das Netzwerk Glarus zukünftig mobil. Schon am Aktionstag 2022 standen eine gemeinsame Velofahrt und mit Home ebenfalls ein Schweizer Film auf dem Programm.
Kreis(el) schliessen
Zum Fünfzigjährigen des ersten autofreien Sonntags schliesst ich mit der gestrigen Gemeindeversammlung Glarus der Kreis dieses Kulturblobeitrags. Die Versammlung entschied sich, die 240'000 Franken für ein Denkmal an das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (ESAF) 2025 auf dem neuen Querspange-Kreisel in Netstal aus dem Budget streichen. Als Alternative stelle ich hier hier den Raum, die Fläche (oder den Hügel) mit Sägemehl zu bedecken und damit die Menschen zu einem spontanen Hosenlupf und zu lebendiger Kultur im Kreisverkehr einzuladen.
Quelle: Dieser Beitrag ist ursprünglich im Kulturblog der Glarner Agenda erschienen.
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