Aufgewachsen bin ich mit drei älteren Schwestern. Obwohl sie mich aus dem Kinderwagen kippten, liebe ich sie. Früher wünschte ich mir trotzdem manchmal einen Bruder. Jetzt habe ich einen.
Zumindest wird Niklaus von Flüe «Bruder» genannt. Er lebte vom 21. März 1417 bis am 21. März 1487. Mit 50 Jahren, am 16. Oktober 1467, zog er fort von seiner Familie. Auf dem Weg zu den Walderemiten im Elsass (F) kehrte er in Liestal (BL) um und lebte im Ranft in Flüeli (OW) als Einsiedler und Bruder Klaus weiter, keine Viertelstunde von seiner Familie entfernt.
Meine ersten Begegnungen mit Bruder Klaus gab's in der Primarschule. Ich weiss, aber erinnere mich nicht daran, dass ich auf einem Klassenausflug in Sachseln und Flüeli war. Als Kind erfuhr ich nicht viel über ihn. Ich habe das Gefühl, mir wurde seine Geschichte kaum so vermittelt, dass sie mich interessierte. Eher selten kriegte ich in der Kirche mit, dass die Menschen das Bruder-Klaus-Gebet sprachen, obwohl es zu den meistgesungenen Kirchenliedern gehört. Und mir war es zu kompliziert, um es auswendig zu lernen.
Erst im Sommer vor zwei Jahren, als ich an einen Punkt meines Leben zurückkam, der mich an einen damit verbundenen Ort zurückzog, berührte mich Bruder Klaus. Auf der Treppe zur Einsiedler Klosterkirche erinnerte ich mich an das Gebet, das ich nicht auswendig konnte. Ich setzte mich hin, googelte es, fand es voll einfach und konnte es sofort frei beten. Seither begleitet es mich zum Glück als Mantra.
Letzte Woche war ich für ein paar Tage in Sachseln und Flüeli-Ranft. Ich überlegte mir nicht viel dabei. Es zog mich einfach an den Ort, wo der Mann lebte, der mir und unzähligen anderen Menschen sein Gebet schenkte. Ich konnte nicht damit rechnen, war aber schon auf den ersten Schritten hinunter zum Ranft berührt. Die Tränen flossen frei.
Der Ranft Ein Ort sehr nah und gleichzeitig fern, untrennbar verbunden mit Bruder Klaus. Ort der Stille und des Gebets. Ort des Friedens und des Innehaltens. Ein geografisch-realer Ort ebenso wie ein Sehnsuchtsort. Förderverein Niklaus von Flüe und Dorothee Wyss
Es war ein verregneter Tag. Deshalb hatte ich die ganze sakrale Landschaft für mich allein. Auf dem Weg von Sachseln nach Flüeli rastete ich bei der Lourdeskapelle. Im Ranft besuchte ich die obere und die untere Ranftkapelle, plünderte den Ranftladen, stieg am anderen Ufer der Melchaa hoch, blickte auf die Schlucht und zum Hotel mit dem unglaublich schönen Namen Paxmontana durch die Nebelschleier. In der Dämmerung besuchte ich die Möslikapelle und stieg mit einer gehörigen Portion Demut in die Zelle von Bruder Klaus.
Werner im Regen | Hotel Paxmontana | Blick in die Ranftschlucht | Möslikapelle
Maria in der Unteren Ranftkapelle
Zurück vom Ranft hatte ich ziemlich durchnässt das Glück, das Postauto von Flüeli nach Sachseln ohne Fahrplanwissen, ohne Hektik und ohne Wartezeit zu erwischen. In der trockenen und liebevollen Unterkunft kam es mir vor, als ob ich viel länger als tatsächlich unterwegs war. Das beeindruckte mich sehr. Ich beschloss, mich selbst zu einem Date mit mir einzuladen und sagte spontan zu.
Längst bin ich nicht der einzige, der sich mit Bruder Klaus verbunden fühlt. Zu Lebzeiten wurde er immer beliebter, je mehr er sich zurückzog. Ratsuchende sprachen mit ihm durch eine Öffnung in der Wand zu seiner Zelle. Im Rückzug bei sich zu bleiben, war die Voraussetzung, damit er den ersehnten Frieden stiften konnte.
Nach meiner Vorstellung war seine Frau Dorothee Wyss seine Managerin. Schliesslich hatte Bruder Klaus schon zu Lebzeiten den Ruf eines Heiligen und die Besuche häuften sich. So oder so spielte und spielt Dorothee eine zentrale Rolle in der ganzen Geschichte. Auf keinen Fall ist sie die arme verlassene Frau, wie es sich landläufig behaupten liesse.
Bevor ihr Mann sich für seinen eigenen Weg entschied, sagte Dorotee ihm sinngemäss, wenn Gott sie zusammengebracht hätte, sei es auch richtig, dass er ihm nun auch folge. Und wenn es der Familie gut gehen soll, müsse es auch ihm gut gehen. Klingt nicht nur logisch, sondern in höchstem Grad selbstbewusst und beziehungsreif.
Mich persönlich fasziniert dieser Teil der Botschaft von Bruder Klaus sehr. Er handelt vom menschlichen Gefühl, den eigenen Weg gehen zu wollen, ja zu müssen. Dafür braucht mensch nicht zwingend alle(s) zu verlassen. Mit Liebenden zur Seite lässt sich der eigene Weg auch gehen, ohne einander zu verlieren, und sogar das Gegenteil erreichen: vollkommenes Vertrauen.
Heute vor 557 Jahren ging Bruder Klaus diesen, seinen eigenen Weg. Er wollte keine Zigaretten kaufen, sondern ins Elsass pilgern. So wie Udo Jürgens' Held in «Ich war noch niemals in New York» nicht zum Big Apple reiste, kehrte auch Bruder Klaus zurück in seine Heimat. Seine Geschichte liefert lauter Anknüpfungspunkte für ein gutes Leben. So tauchen Spuren davon auch immer wieder in diesem Blog auf.
Bruder Klaus konnte übrigens weder lesen noch schreiben. Von seiner örtlichen und zeitlichen Reichweite dürften moderne Influencer also hoch beeindruckt sein. Für mich ist das Schreiben meine Zelle: Rückzug und Öffnung zugleich. Was davon bei anderen übrigbleibt, ist mir zwar nicht egal, aber nicht wesentlich für mich selbst. Abgesehen davon war ich mal in New York.
Das Gebet Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu Dir. Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu Dir. Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen Dir. Erste Bitte: Stufe der Reinigung; sie gehört zum anfangenden Menschen. Zweite Bitte: Stufe der Erleuchtung; sie gehört zum zunehmenden Menschen. Dritte Bitte: Stufe der Vereinigung; sie gehört zum vollkommenen Menschen. Förderverein Niklaus von Flüe und Dorothee Wyss
コメント