Sie sind ein Dauerthema, das mich eigentlich nichts angeht. Weil es sich trotzdem täglich aufdrängt, verliere ich mal ein paar Worte darüber: Kinder – ein Versöhnungsversuch.
Schon als Gof begriff ich nicht, wieso Kinder bessere Menschen sein sollten. Die einen machten mir meine Spielsachen kaputt, die anderen pflückten mit mir Schlüsselblumen. Die einen vermöbelten mich, die anderen waren meine Beschützer:innen.
Weil es auch unter den Erwachsenen solche gab, die lieb, und solche, die böse zu mir waren, konnte ich keinen Unterschied im Menschsein erkennen, der auf das Alter zurückzuführen wäre.
Kein Wunder also war Kinder an die Macht! der eine Song von Herbert Grönemeyer, mit dem ich nicht warm wurde und auch heute noch nicht einverstanden bin.
Beda und Hedwig
Als meine Schwestern Kinder kriegten, dachte ich keinen Moment daran, irgendwann auch welche zu haben. Schliesslich stellte sich heraus, dass ich schwul bin, und meine nie gestellte Kinderfrage galt als gegessen.
Ergo habe ich mir nie überlegt, wie mein ungeborenes Kind heissen soll. Also überlege ich mir das hier mal: Vielleicht Beda oder Hedwig? Diese Namen lassen sich so wunderbar dem jeweils anderen Geschlecht zuteilen, für das sie eigentlich gedacht sind.
Martina und die Kinder
Mit Kindern kenne ich mich also nicht aus. Wenn ich mich trotzdem einmische, kriege ich meistens aufs Dach. Zum Beispiel als ich im Zug zu einer Mutter sagte, sie solle ihren Kindern nicht einbläuen, dass ein todkranker Mensch selbst Schuld an seiner Krankheit sei und eigentlich kein Anrecht auf Pflege habe. Zum Glück musste ich bald aussteigen.
Kinder sagen mir zwar nicht nichts, aber auch nicht mehr als Erwachsene. Dieser Beitrag könnte also hier einfach ein Ende finden mit dem einen oder anderen Sketch von Martina Hill. Ich mag es, wie sie mit Kindern umgeht und was sie ihnen einbläut.
Ja: Kinder sind unsere Zukunft. Ja: Kinder können nichts dafür. Ja: Kinder sind überall. Wenn sie im Zug laut oder in Massen (oder beides gleichzeitig) auftreten, tröste ich mich mit dem Gedanken, dass ihre Erziehungsberechtigten besser von kleinauf mit ihnen im öffentlichen Verkehr fahren, statt sie an einen SUV zu gewöhnen.
Jedenfalls finde ich als Kinderloser schon seit ich selbst eines war: Kinder sind zwar besonders schützenswert, aber sie erhalten für meinen Geschmack meistens zu viel Beachtung. Und weil das mit grossen Erwartungen an sie – zum Beispiel, dass sie die Welt retten – verbunden ist, ist das nicht unbedingt gut für die Gofen.
Pablo und Emanuela
Auch eine meiner Freundinnen, die ich seit dem Kindergarten kenne, ist Kabarettistin und hat mir zum Beispiel in ihren Sologprogrammen im Fall! und Schlüsselreiz das Kinderhaben äusserst unterhaltsam näher gebracht. Esther und ich sind im gleichen Quartier aufgewachsen und verstehen uns heute noch gut.
In unserem gemeinsamen Heimatdorf Einsiedeln SZ spielt gerade das grosse Welttheater. Unter den traditionellen Rollen des Stücks von Pedro Calderón de la Barca ist das ungeborene Kind die einzige, die ohne Sünde bleibt. Heisst also auch, sobald das Kind geboren ist, ist Schluss mit unschuldig.
Diesem Umstand widmet sich die Welttheater-Version 2024 von Autor Lukas Bärfuss und Regisseur Livio Andreina besonders. Nur soviel: Die ungeborenen Kinder spielen alleine. Sie heissen Pablo und Emanuela. Er stirbt jung und sie treibt's bunt. So bestätigt und widerlegt das Welttheater Herbert Grönemeyers Kinder an die Macht! gleichermassen.
Nils, Anton, Nadine… Lena, Amélie, Larissa
Nach meinem zweiten Mal Welttheater 2024 und voll von der Kinderfrage landete ich tags darauf in Lachen SZ. Der Ort im Bezirk March erinnert mich, wie Einsiedeln, an einen Teil meiner Kindheit: meine Jugend. In Lachen besuchte ich ab 16 Jahren drei Jahre lang die kaufmännische Berufsfachschule.
Der Grund, warum ich nach dem Welttheater in Lachen landete, waren 32 Menschen, die heute Jugendliche sind. Sie heissen Nils, Anton, Amélie oder Larissa. Stephan vom Zirkus Mugg hatte mich angefragt, über das Tourneecamp 2024 im Kulturblog der Glarner Agenda zu schreiben, und mich zu diesem Zweck eingeladen, hinter die Kulissen zu blicken.
Zwei Wochen lang lebten die Jugendlichen auf engem Raum und arbeiteten an ihrem eigenen Zirkusprogramm. Dass das zusammenschweisst, fiel mir sofort auf. Ob im Tourneecamp oder als Teil des Spielvolks des Einsiedler Welttheaters: Sowas lohnt sich, den Kindern einzubläuen.
Werner und die Macht
Hätte ich als Kind das Kommando übernommen, wären zum Beispiel aus dem Kanton Schwyz zwei Halbkantone geworden, zumindest hätte sich Einsiedeln abgespaltet. Als König der Schweiz hätte ich Vorarlberg, das Veltlin, das Aostatal und Savoyen annektiert.
Ich wäre mit der Macht also wie Emanuela im Weltteather umgegangen. Gut war ich nicht am Drücker. Geblieben sind mir zum Glück der Welt und zum Pech meines Zahnfleischs die Armeen aus Gummibärchen – und, wie bei alllen Menschen, dass ich immer noch ein Kind bin, nämlich das meiner Eltern.
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