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Scheiss auf die Ungerechtigkeit

Heute habe ich zum ersten Mal eine Politkolumne für die SP Glarus geschrieben. Sie handelt von der steigenden Teuerung. Das Thema passt für mich ganz gut – Anfang Juli war ich in Biel an einem Workshop dazu.


Biel gilt als Schweizer Hochburg der Sozialdemokratie. Dieses Jahr verbrachte ich zweimal Zeit in dieser Stadt. Zuerst für eine knappe Woche Ferien, dann für ein Wochenende mit Genoss:innen. Beide Male, um ausserhalb des bürgerlichen Kantons Glarus etwas in linke Atmosphäre einzutauchen.


Vom hübschen Hotel ins spannende Museum


Ende März war ich das erste Mal nach der Expo.02 wieder in Biel. Mein Mann und ich hatten uns für vier Nächte in der Villa Lindenegg entschieden. Das war ein Volltreffer – schöne Zimmer, freundliche Menschen, leckeres Essen.


Auch das Biel darum herum traf in mein Schwarzes – grosszügige autofreie Zonen, mit Menschen belebte Strassen, Wander- und Spazierwege und ein spannendes Stadtmuseum.



An der Sonderausstellung Biel/Bienne 4.0 über «Revolutionen an der Arbeit seit 1800» traf ich auf reichlich Hintergrund sowohl zu Themen, die mich politisch umtreiben, als auch zu Inhalten, mit denen ich beruflich unterwegs bin. Und, wie immer bei Geschichte, öffnete es die Augen für die Zustand der Gegenwart.


Trainieren im Kongresshaus


Drei Monate später lockte mich die SP-Sommertagung wieder nach Biel. Es war ein sehr bereicherndes Wochenende mit Impulsen und Workshops – ein wertvoller Haufen Wissensvermittlung über Krieg, Energie, Rohstoff- und Agrarhandel, Inflation und Teuerung.


Ich fühlte mich wohl unter meinen Genoss:innen, die mir alle sehr unterschiedlich vorkamen und denen etwas gemeinsam war: der Einsatz für die Gerechtigkeit. Es tat mir gut zu erkennen, dass auch andere ihre Argumentation stets aus dieser Haltung heraus oder zu ihr hin verketten.



Die Tagung im Kongresshaus Biel war auch ein kleiner Trainingsplatz, um selbst zu üben oder zu beobachten, wie andere auftreten und was mir persönlich daran gefällt oder nicht. Apropos Training: Es hat auch ein Fitness-Center im Gebäude, das zu den architektonischen Highlights in Biel gehört.


Argumentieren im Glarnerland


Quasi ein erstes Ergebnis dieses Trainings ist meine Politkolumne in den heutigen Glarner Nachrichten. Inhaltlich hat mir dabei der Workshop mit Nationalrätin Samira Marti über Inflation und Teuerung geholfen. Motiviert dazu haben mich meine Genoss:innen von der SP Glarus.


Glarner Nachrichten 22. Juli 2022
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Weil sich das Format «zur Debatte» auf eine gewisse Zeichenzahl beschränkt, gibt es an dieser Stelle die Vollversion.


Hinter dem lauen Sommer lauert der heisse Herbst


Diesen Sommer fahren Glarner:innen günstig in den Ferien im Euroraum. Der starke Franken sorgt für ziemlich gleiche Preise für Schnitzel oder Pizza wie im letzten Sommer. Die Aufwertung des Frankens macht die starke Teuerung im Euroraum wett.



Nur wenige Wochen später wird der Herbst aber auch für Glarner:innen noch heisser, als schon der Sommer ist. Dann mausert sich die steigende Teuerung zu einer waschechten Herausforderung für unsere Haushalte.


Während Unternehmen und Vermieter die steigenden Preise zum Beispiel für Treib- und Brennstoffe weitergeben, kommt die Inflation direkt im Portemonnaie von Familien, Pensionierten, Paaren und Alleinstehenden an. Jede und jeder merkt es schon heute: bei den Lebensmitteln, bei der Gasrechnung und – eigentlich zum Glück – auch an der Zapfsäule.



Zwar ist der Kanton Glarus für seine tiefen Lebenshaltungskosten bekannt, doch auch hier steigen die Preise für Ausgaben wie Wohnnebenkosten und Krankenkasse. Das reduziert das frei verfügbare Einkommen und damit die Kaufkraft der Glarner:innen.


Gleichzeitig ist das Glarner Lohnniveau vergleichsweise tief. Das ist schon ohne Inflation ein Problem für die Rekrutierung von Fachkräften – zum Beispiel im Gesundheitswesen, bei der Verwaltung und überhaupt im Service Public fehlt deshalb das Personal mit den nötigen Skills .


Inflation waren wir uns in der Schweiz bis in die 1980er Jahre gewöhnt. Danach verschwand sie in der Versenkung. Die aktuelle Teuerung schlägt mehr zu als früher, weil die Mietpreise in den letzten fünfzehn Jahren schweizweit um 36,2 Prozent stärker angestiegen sind, als gesetzlich zugelassen.



2021 zahlte ein Haushalt pro Monat 370 Franken zu viel Miete. Dagegen würden Vorstösse zur Senkung von Treibstoffabgaben einen Haushalt pro Jahr um weniger als 50 Franken entlasten. Auf nationaler Ebene fordert die SP deshalb eine periodische Revisionspflicht der Rendite auf Mieteinnahmen zur Sicherstellung der gesetzlichen Vorgaben.


Durch die Decke gehen auch die Krankenkassenprämien. Seit 1997 stiegen sie in der Schweiz um 134 Prozent. Einzig die Löhne – vor allem bei tiefen (plus 17 Prozent) und mittleren (plus 15 Prozent) Einkommen – hatten in der gleichen Phase Mühe hochzuklettern. Selbst hohe Löhne der obersten zehn Prozent der Bevölkerung kommen mit 23 Prozent nicht mal auf die Hälfte der Zunahme von sehr hohen Löhnen des obersten einen Prozents.


Wo es im Herbst der Teuerung und damit der Kaufkraft unserer Haushalte zu entgegnen gilt, ist also schon im Sommer sonnenklar: Einerseits und angesichts des drohenden Prämienschocks bei den Krankenkassen muss der Bundesrat selbstständig und in Zusammenarbeit mit den Kantonen bereits ab Herbst 2022 die Prämienverbilligungen ausweiten.


Und andererseits müssen die Arbeitgeber – auch Kanton, Gemeinden und weitere öffentliche Dienstleister – Lohnanpassungen von fünf Prozent für tiefe, mittlere und selbst für hohe Einkommen budgetieren.



Bloss, wer soll das bezahlen? Bei der öffentlichen Hand steigen durch die Lohnerhöhungen auch die Steuereinnahmen. Der Teuerungsausgleich ist also bezahlbar.


Bei den privaten Arbeitgebern herrschen Vollbeschäftigung und der Kampf um Arbeitskräfte. Um konkurrenzfähig zu bleiben, liegen in einem derartigen Umfeld Lohnentgegenkommen auf der Hand .


Schliesslich prosperiert die Wirtschaft in der Schweiz – in einem Land, das von steigenden Rohstoff-, Energie- und Agrarpreisen unerhört viel profitiert, weil es den Welthandel beherrscht.


Erklären bei Bedarf


Manchmal fragen mich Menschen, warum ich bei der SP sei und nicht bei den Grünen? Die Frage rührt vermutlich daher, dass man mich durch das Engagement bei der Klimabewegung und mein ausgeprägtes Interesse an einer Verkehrswende als politischen Menschen interpretiert.



Die kurze Antwort darauf lautet, dass mich mein Vater inspirierte. Etwas länger wird es, wenn ich es mir etwas genauer überlege.


Zusammengefasst geht es mir um die Gerechtigkeit für alle – zum Beispiel das Klima schützen für die kommenden Generationen oder den Verkehrslärm reduzieren für die Gesundheit von vier Millionen Betroffenen in der Schweiz.


Ungerechtigkeiten herrschen aber auch ausserhalb der Klima- und Verkehrspolitik – zwischen den Geschlechtern, aufgrund der Herkunft oder der sexuellen Orientierung. Als potenzieller Politiker möchte ich mich darauf konzentrieren, die Gerechtigkeit in der Sachpolitik ins Zentrum zu stellen und sie vom Ideologievorwurf zu befreien.


Fokussieren auf die Gerechtigkeit


Was der Politik oder auch der Partei dazwischen kommen kann, ist öffentliche Aufregung – ob selbst verschuldet oder inszeniert –, die vom Kern und der Sache abhalten. So erschien zum Beispiel am Wochenende der SP-Sommertagung das Interview mit dem Bieler SP-Stadtpräsidenten Erich Fehr über den «Linksrutsch» der SP.


NZZ-Magazin Interview Erich Fehr
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Und so ist derzeit Bundesrat Alain Berset wieder öffentlicher Kritik ausgesetzt. Auch ich werde ab und zu auf ihn angesprochen. Als Basisvertreter einer linken Partei in einem kleinen, konservativen Kanton – also mit wenig Ressourcen – finde ich es allerdings nicht sehr ökonomisch, meine Kapazitäten für einen Kanon zu verbrauchen, in dem schon sehr viele mitsingen.


Deshalb verteidige oder verurteile ich gerade keinen Bundesrat und rechtfertige mich nicht, warum ich in einer Partei bin, die sich auch mal uneinig ist und widerspricht. Das ist hoffentlich bei jeder Partei und auch in jeder menschlichen Beziehungen so – selbst in der zu sich selbst.



Ausserdem finde ich es nicht ganz uninteressant, mich zu einer politischen Farbe zu bekennen, die unter Druck ist, obwohl es sie jetzt wirklich braucht. Denn die Welt hat sich von der Gerechtigkeit mal wieder soweit entfernt, dass es hin zu ihr ein richtig langer und nötiger Weg ist – wir wissen es ja: No justice, no peace.

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