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Nachschwingen

  • Autorenbild: Werner
    Werner
  • 30. Sept.
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 4. Okt.

Die Begeisterung war gross und schwänzelt noch um die Ecke. Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (ESAF) ist gelungen. Gott sie Dank!


Mein Favorit | Bild: curdinorlik.ch
Mein Favorit | Bild: curdinorlik.ch

Gerade begeistert war ich nicht, als die Landsgemeinde 2017 wortlos ziemlich viel Geld für die Kandidatur des Glarnerlands für das ESAF 2025 gesprochen hatte. Eine Debatte wäre mir lieber gewesen. Auch ich ergriff das Wort nicht bei der Aufforderung «Ds Wort isch frii». Irgendwie war es mir von Anfang an ein bisschen egal.


Landsgemeinde 2017 | Bild: Sasi Subramaniam
Landsgemeinde 2017 | Bild: Sasi Subramaniam

Auch als es in den Folgejahren scheinbar vielen Menschen im Glarnerland alles andere als egal war, hielt sich meine Leidenschaft dafür nach wie vor in Grenzen. Viele von ihnen beklagten sich im Voraus über den Verkehr, was ich damals als VCS-Präsident auch hätte tun sollen, aber meinen Vorstandskolleg:innen überliess.


Irgendwann war der SP-Fraktion im Glarner Landrat die negative Stimmung zu blöd. Also reichten Samuel und Sabine die Interpellation ESAF als Chance ein. Die Verantwortlichen kamen später persönlich in den Landratssaal und die SP Kanton Glarus fand: Finanzen und Verkehr auf Kurs


Langsam fand auch ich das ESAF etwas spannender. Aber nur etwas. Dabei hätte ich der erste geoutete schwule Schwinger werden können, wenn mein Däddi und zwei unserer Restaurantgäste (dr Grütli-Meiri und dr Portmä), die sich besonders bemühten, mich als Kind vom Schwingen überzeugt hätten. Den ersten geouteten schwulen Schwinger gibt es nun auch ohne mich.



Irgendwann im Sommer dieses Jahres kam dann diese Muni-Max-Sache. Das temporäre hölzerne ESAF-Wahrzeichen war durchaus durchdacht. Nicht durchdacht war, dass es verkauft werden sollte, ohne vorher zu fragen, ob es überhaupt jemand will. Einen Brief, der das Glarnerland zu diesem Jemand machen wollte, unterschrieb ich nicht. Die Muni-Max-Sache hat nun das Urnerland am Hals.


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Ebenfalls irgendwann in diesem Sommer war es soweit. Die Wiesen auf dem Talboden füllten sich mit Wohnmobilen. Irgendwie beeindruckte mich dieses Bild tatsächlich, weil ich das Glarnerland noch nie so gesehen hatte.


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Nachdem ich am ESAF-Samstag selbst einen einen Anlass in Zürich organisiert hatte, gab ich mich am Sonntag hin und radelte zum Festgelände nach Mollis. Mein Eindruck: Ziemlich entspannt, das Ganze. Mit Rösti (zum Essen) und Wurst sowieso.


Ziemlich entspannt war auch der Strassenverkehr. In meinen bisherigen 14 Glarner Jahren hatte es noch nie so wenig Autos und Motorräder auf den Glarner Strassen. Eigentlich gar keine. Den Schlussgang erlebte ich mit Eva und Manfred im dünn besuchten Festzelt auf dem Rathausplatz in Glarus – nicht Auto fahren heisst offenbar: Bleiben Sie zuhause!


Dort freute ich mich dann tatsächlich sehr darüber, dass Curdins Bruder Armon Orlik Schwingerkönig wurde.



Was mir besonders an diesem hoch kommerziellen und von Klischees triefenden Sportanlass gefiel: Eine Woche vorher gewann Jasmin Gäumann das Eidgenössische Frauen- und Meitlischwingfest in Huttwil. Und aus dem Glarnerland kehrte nebst dem schwulen Curdin Orlik mit Shinisha Lüscher auch ein Kranzgewinner mit Migrationsbiografie nach Hause. Diese Sichtbarkeit der Vielfalt in einem traditionellen Umfeld macht mich zuversichtlich. Gott sei Dank!



«Gott sei Dank» sind auch die Stichworte für den zweiten Teil dieses Beitrags: Seit der Gründung des Bundesstaates 1848 hat der Dank-, Buss- und Bettag eine besondere Bedeutung als Zeichen staatlicher und konfessioneller Einigung. Zu diesem Zweck veröffentlichen die Kantonsregierungen jeweils eine Botschaft an das Volk, das sogenannte Bettagsmandat.


Zuvor gibt's hier noch ein Blick über die Schweizer Grenzen hinaus. In Senegal ist Schwingen ebenfalls Nationalsport. Vom 17. August bis zum 7. September 2025 schlug eine Fotoausstellung dazu im Güterschuppen Glarus eine Brücke zum ESAF 2025 in Mollis.


«Die Lutte Sénégalaise ist die populärste Sportart Westafrikas und hat sich von einem traditionellen Dorfkampf zu einem Millionen-Dollar-Spektakel entwickelt», sagt der Reportagefotograf Christian Bobst dazu. «Sie kombiniert körperlichen Wettkampf mit Ritualen, magischen Amuletten und Trommelrhythmen und ist für viele junge Senegalesen eine Möglichkeit zum sozialen Aufstieg.»



Mehr zur Ausstellung im Beitrag von Claudia Kock Marti auf glarus24.ch



Respekt für Fairplay und Spielregeln



Um Werte wie Frieden, Demokratie und Solidarität zu sichern, sind Fairness und klare Spielregeln unser gemeinsamer Kompass. Sie sind ein Bekenntnis zu Respekt, Ehrlichkeit und gegenseitiger Toleranz, das unsere Gesellschaft stärkt und vor Spaltung schützt.


von Christian Marti, Regierungsrat


Durch Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, auf dem afrikanischen Kontinent, die Zunahme weltweiter Flüchtlingsströme oder den US-Zollstreit geraten Selbstverständlichkeiten, die unsere Generationen lange getragen haben – Frieden, Stabilität, Wohlstand – ins Wanken. Auslöser dazu ist eine Renaissance des Rechts des Stärkeren. Damit kommt die Stärke des Rechts als Ausdruck geschriebener Spielregeln zwischen Staaten und im Verhältnis des Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern unter Druck. Wenn Spielregeln nicht mehr eingehalten werden, sind Frieden, Demokratie und Menschenrechte die ersten Opfer.


Gehen wir erst recht mit Mut und Zuversicht voran. Nehmen wir uns dabei ein Vorbild an den Werten der Schwinger: Sie sind im entscheidenden Moment bereit, begegnen sich in der Arena mit Respekt, und es ist der Sieger, der sich um den Unterlegenen sorgt, indem er ihm den Rücken abwischt.


Foto: Fritz Leuzinger
Foto: Fritz Leuzinger

Auch die Erfahrung lehrt uns, dass es in jeder noch so negativen Entwicklung plötzlich Sonnenstrahlen gibt, die durch eine Lücke ins Dunkle scheinen. Für viele Menschen ist dies die göttliche Kraft, die uns schützt und lenkt. Die Zukunft ist nicht vorherbestimmt, sie ist veränderbar. Der entscheidende Moment ist dabei immer jetzt, heute! Und der Ort, etwas zu verändern ist hier: hier bei uns im Glarnerland, in der Schweiz.


Wenn wir also gemeinsam Demokratie, Gemeinschaft und Spielregeln hochhalten sowie unsere Institutionen stärken wollen, achten wir auf unsere Sprache, respektieren wir andere Meinungen, gehen wir abstimmen und bringen uns voller Vertrauen ein. Denn Menschen, die mit Zuversicht und Verlässlichkeit das Miteinander leben, gerade in Zeiten, in denen das Trennende oft lauter ist als das Verbindende, stärken unser Land.


Unterschiedliche Ansichten haben uns stark gemacht

von Matthias Andreas Hauser, Pfarrer Kath. Pfarrei St. Fridolin Glarus-Riedern-Ennenda


Das Verbindende im Christentum prägt die Schweiz seit ihren Anfängen: Unsere Vorfahren haben diesen Staat als Bund vor Gott gegründet; unser Wappen zeigt das christliche Symbol schlechthin – das Kreuz. Der heilige Niklaus von Flüe hat durch sein zutiefst christliches Leben und mit seinem politischen Einfluss unser Land vor dem Zerfall bewahrt. Das Christentum ist die Grundlage unseres Volkes und unserer Nation.


Jesus hat sein Volk und seine Heimat so sehr geliebt, dass dessen Schicksal ihn zu Tränen gerührt hat. So haben wir auch allen Grund, unsere Heimat zu lieben. Die Pflicht der Bürger ist es, gemeinsam mit den Behörden im Geist der Wahrheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Heimatliebe und der Einsatz für das Vaterland sind Dankespflichten und entsprechen der Ordnung der Liebe.


Innerhalb dieses Rahmens ist viel Platz für unterschiedliche, ja einander widersprechende Ansichten. Damit müssen wir leben. Als Schweizerinnen und Schweizer sind wir aufgerufen, unseren Standpunkt klar und ehrlich zu vertreten, aber auch andere, ebenso ehrliche Standpunkte zu respektieren. In diesem Streit der Meinungen will jeder obsiegen; das liegt in der Natur des Menschen und das ist auch gut so. Denn dieser Wettbewerb der Ansichten hat unseren Staat stark gemacht, und das soll auch künftig so bleiben. Entscheidend ist, dass wir in diesem Meinungsstreit niemanden verletzen oder demütigen. Als Staatsbürger sind wir auch verpflichtet, die Gesetze unseres Staates zu achten. Alle diese Tugenden können wir unter dem Begriff Fairplay zusammenfassen.


Fairness als Verzicht auf unlautere Mittel

von Johannes Geitz, Pfarrer der Ref. Kirchgemeinde Mollis-Näfels


Fairness ist nicht der Verzicht auf Auseinandersetzungen, sondern der Verzicht auf unlautere Mittel. Völker, die in der Vergangenheit politisch oder militärisch den Kürzeren zogen, haben dabei erlittenes Unrecht danach oft wieder zur Rechtfertigung für Terrorismus und Mord missbraucht. Aber für Terror gibt es keine Rechtfertigung.



Wir erschrecken über die Abgründe des Hasses, und welche Gräueltaten auch in unserer Zeit möglich sind. Wo der Hass beginnt, endet der Friedenswille, und wir sind auch nicht immun gegen wütende Gefühle. Hass darf nicht in das Zusammenleben in der Schweiz eindringen. Wir müssen mit aller Macht dagegen aufstehen, denn Hass erzeugt immer noch mehr Hass.


«Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten» – so schrieb Paulus an die Christen in Rom.


Im ersten Kappelerkrieg 1529 standen sich die Heere reformierter und katholischer Schweizer Orte gegenüber. Als das Fussvolk der verfeindeten Heere gemeinsam eine Milchsuppe in einem grossen Topf zubereitete, kam es nicht mehr zum Blutvergiessen.


Die Zukunft ist ungewiss, und der Friede könnte noch brüchiger werden oder sogar enden. Dann wollen wir Schweizerinnen und Schweizer als ein Volk bekannt sein, das für seine Überzeugungen kämpfen kann, aber auch bereit zum Frieden ist, und mit Gegnern fair umgeht.


Im Grunde geht es um Akzeptanz

von Arpad Baranyi, Ratsschreiber


Fairplay beruht nicht auf gesetzlichen Regeln und Richtern, die darüber wachen. Sein Kern sind die gemeinsamen Werte, auf die sich eine Gemeinschaft freiwillig verpflichtet hat. Diesen ordnen sich deren Mitglieder aus Überzeugung unter, sowohl als Sieger als auch als Verlierer. Die Werte in der Schweiz sind fest im Christentum verankert. Die Würde und Gleichwertigkeit jedes Menschen vor Gott manifestiert sich in einzigartiger Weise in den ausgeprägten demokratischen Mitbestimmungsrechten.



Fairplay entspricht gerade bei uns im Glarnerland denn auch vor allem dem, was vom Volk oder der Gemeinschaft mitgetragen und akzeptiert wird. Die Institutionen fühlen sich allen Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Das schützt die Politik davor, sich in Mikrothemen zu verzetteln, die nur Wenige betreffen und sich im Alltag von selbst auflösen.


Durch das Volk gemeinsam akzeptierte Werte bewahren aber die Schweiz auch vor der Spaltung ihrer vielfältigen Gesellschaft. Fairplay zeigt sich hier regelmässig darin, dass Sieger nicht über andere triumphieren und Verlierer ihre Niederlagen akzeptieren. Sowohl die Mehrheiten, als auch die Minderheiten unterlassen es, nur auf ihre Rechte zu pochen, und gehen stattdessen vielmehr aufeinander zu. Dies eben im sicheren Wissen, dass nur auf Dauer hält, was von allen mitgetragen wird. Das ist nicht selbstverständlich. Dazu genügt ein Blick über die Grenzen. Volksentscheiden schlägt dort immer noch Misstrauen entgegen. In der politischen Arena treten anstelle von Fairplay vermehrt Gesetze, die den demokratischen Gestaltungsspielraum einhegen und verrechtlichen.


Seien wir froh um unser unverkrampftes, von Vertrauen geprägtes Verhältnis zwischen Volk und Staat. Es ist Gradmesser, Garant und Ausdruck zugleich für unser Fairplay in der Schweiz im Kleinen sowie im Grossen.


Ruhe in Frieden


Leider starb am ESAF 2025 ein Mensch mit 33 Jahren bei einem Zugsunglück. Für ihn und seine Angehörigen zu beten, ist erlaubt.


Wer lieber mit Musik betet: «Arcade», der Siedersong von Duncan Laurence am ESC 2019 in Tel Aviv für die Niederlande, handelt von einer nicht gelebten Liebe, dem Verlust eines geliebten Menschen, der jung gestorben ist und deshalb die grosse Liebe nicht mehr erleben kann.



Nicht zuletzt, weil mit ESC mehr als ESAF interessiert, habe ich diese Woche einen weiteren Schritt gemacht, einen geliebten Menschen noch ein Stück mehr loszulassen, und die alten Schwingerkalender meines Vaters dem Kiosk-Flohmarkt übergeben. Ich eifere Däddy auch so noch genug nach. Vielleicht fährt jemand mit echter Schwinger-Schwäche daran vorbei, nimmt sie mit und hat Freude daran oder macht jemand anderem Freude damit.

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