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Hoffnung selbst tragen

Heute findet der dritte Wahlkampf ein Ende, an dem ich bisher beteiligt war. Gerade schliessen die Wahllokale. Wie es auch immer herauskommt: Gewonnen habe ich persönlich an gewachsener Verbundenheit und gestärkter Haltung.


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Für alle anderen (oder die Zurückgekehrten) geht es hier der Reihe nach weiter mit meinen persönlichen Gedanken zum heutigen Wahlsonntag und zu den letzten Monaten.


Das politische Engagement meines Vaters, der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, Liliane Uchtenhagen und Otto Stich, der Kalte Krieg und der europäische Terror, der Ausbruch von Aids, die Wende und die Hinrichtung der Ceausescus, der Jugoslawien-Krieg und mein Coming-out politisierten mich als Kind und Jugendlicher.



Coming-out an der Gemeindeversammlung


Lange Zeit war ich nur Teilnehmer an Demonstrationen zum Christoper Street Day, zum 1. Mai und bei Friedenskundgebungen. Der organisierte Aktivismus und das aktive Parteileben kamen erst dazu, nachdem ich nach Glarus gezogen war.


Es dauerte sechs Jahre bis zu meinem politischen Coming-out in meiner Wahlheimat. 2017 hielt ich mein erstes Votum an einer Gemeindeversammlung und verlor hauchdünn um sieben Stimmen.


Danach trat ich endlich der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) bei. Meine Energie steckte ich vorerst in die Klimabewegung. Damals, vor vier Jahren, fand im Kanton Glarus die kleinste Klimademo der Schweiz statt. Dieses sympathische Superlativ gab mir den Mut und die Kraft, um mitzuhelfen und mitzugestalten.


Wahlkampf für den Grünen


In der gleichen Zeit waren eidgenössische Parlamentswahlen. Vor vier Jahren trat im Kanton Glarus der Grüne Mathias Zopfi als Ständerat an. Das war kein einfaches Unterfangen, weil die Bisherigen Thomas Hefti (FDP) und Werner Hösli (SVP) wieder auch am Start waren.


Die SP kandidierte 2019 mit Priska Grünenfelder für den Nationalrat gegen den Bisherigen Martin Landolt (damals BDP, heute die Mitte) an. Ich war noch ein passives Mitglied der SP, dafür schon ein aktiver Teil der Klimabewegung. So kam es, dass ich den Wahlkampf des grünen Kandidaten zusammen mit meinen Klimafreund:innen unterstützte.


Es war motivierend, bei dieser Bewegung mitzumachen, von ihr zu lernen und ihr etwas beizubringen. Der Ruf nach dem System Change weckte meine Hoffnung auf die Wende. Eine Hoffnung, die in mir zum ersten Mal so richtig 1989 erwachte.



2019 gelang es mit dem System Change als Antrieb, Zopfi zum Ständerat zu machen und Hösli abzuwählen. Dahinter steckte so richtig viel Arbeit der Klimabewegung, die mit diesem Resultat so richtig gut belohnt wurde.


Dahinter steckte aber auch ein bürgerlicher Coup in den eigenen Reihen. Ein Bekannter aus dem SVP-Umfeld sagte mir damals nach den Wahlen: «Bei dir weiss ich wenigstens, woran ich bin.» Ich entegnete ihm mit «gleichfalls».


Grün gehört zu Rot


Nach dem grünen Ständerat doppelte die Klimabewegung an einer Gemeindeversammlung in Glarus nach. Den dort Ende 2019 gewonnenen Ökorappen auf Strom verlor sie schon Anfang 2020, als die Pandemie begann, um die Hälfte. 2023 setzte die Gemeinde Glarus den Ökorappen wegen der gestiegenen Energiepreise ganz aus.


Mit der Pandemie (und später mit dem Ukraine-Krieg) wurde es also noch anstrengender für die Klimabewegung. An der ersten Klimademo während der Pandemie lernte ich Sabine Steinmann kennen. Ich hatte vorher viel Gutes über die Klima- und Gesundheitspolitikerin im Glarner Landrat gehört.



Klimakrise und Coronakrise gleichzeitig: Das war eigentlich der ultimative Weckruf nach Gerechtigkeit. Wieder erwachte die Hoffnung nach der Wende in mir, dieses Mal nicht allzu lange. Umso wichtiger wurde es mir, konsequent für die Gerechtigkeit einzustehen – und schlussendlich irgendwann für den System Change.



Dem inzwischen gegründeten Verein KlimaGlarus.ch gelang es an der Corona-Landsgemeinde 2021, dem Kanton Glarus das damals schärfste Energiegesetz der Schweiz zu verpassen. Der Erfolg war grossartig. Ich war skeptisch, sowohl der Klima- als auch der Coronakrise primär technisch zu begegnen.


Inzwischen ist meine Skepsis gewachsen, zum Beispiel weil das neue Klima- und Innovationsgesetz auf System Support angelegt ist und nicht den System Change vorantreibt. Klar hatte auch ich der Vorlage zugestimmt, aber vielmehr Energie als ein Ja einzulegen, war es mir nicht wert.


Jedenfalls fühlte ich mich stärker von meiner Partei angezogen, auf die auch in Sachen Klimaschutz Verlass ist. 2021 landete ich in der Geschäftsleitung der Kantonalpartei, und 2022 setzte ich mich an der Landsgemeinde im Namen der SP für den Klimaschutz ein.


Hartes Pflaster für Partnerschaften


Die SP-Landratswahlen 2022 waren mein zweiter Wahlkampf. Ich erweiterte die Kommunikationspalette der Partei und kandidierte selbst. Ich war nicht der einzige Kandidierende aus der Kerngruppe des Klimavereins, führte den Wahlkampf aber in erster Linie für meine Partei.


Im gleichen Jahr wurden aus der Kerngruppe ein grüner Landrat und eine grüne Gemeinderätin gewählt. Das waren zwei grandiose Erfolge. Die SP verteidigte 2022 ihre acht Sitze im Landrat – für Glarner Verhältnisse ein kleines Nebenwurder.


Ausserdem sitzt der SP-Regierungsrat fest im Sattel und haben zwei der drei Glarner Gemeinden einen SP-Präsidenten. Vielleicht sind das Gründe dafür, dass die SP gern mal klein geredet wird. Es sind aber auch Beweise dafür, dass die SP wählbar ist.


Wählbar ist auch die SP-Kandidatin für den Nationalrat. Meine Partei entschied sich für die Nomination von Sabine Steinmann, weil sie sehr geeignet und sehr bereit ist für das Amt. Ob sie gewählt wird oder nicht, stellt sich in gut zwei Stunden heraus.



Auf der verpartnerten Seite gesellte sich der Kandidat der Grünen als Bisheriger zu einer gemeinsamen Wahlempfehlung mit den bürgerlichen Kandidaturen.


Dieses Dreierticket war bereits früh bekannt, entspricht den aktuellen Machtverhältnissen und setzt sich für die grosse Umfahrung ein. Einige Glarner:innen wünschten sich wohl, dass die drei konkurrenzlos geblieben wären.


Es ist nachvollziehbar, dass die Parteien, die an der Macht sind, ihre Sitze nicht verlieren wollen.

So kam es, dass die SP des Kantons Glarus bereits im Februar selbstverständlich den Ständeratskandidaten der Grünen, ihres traditionellen politischen Partners, nominierte und das im Mai bestätigte.


Die Grünen des Kantons Glarus brauchten länger. Sie interpretierten die Partnerschaft im August etwas anders und sprachen sich trotz höchster Verlässlichkeit in Umweltfragen nicht explizit für die SP-Kandidatin aus.


Hartes Pflaster für Freundschaften


Bereits vor der Nomination im Februar – und anders als vor vier Jahren bei der Unterstützung des grünen Ständertskandidaten – versuchten einige meiner Klimafreund:innen die SP von einer Kandidatur abzuhalten. Sie befürchteten, dass sich dadurch die Frauen die Stimmen wegnehmen und der SVP-Kandidat gewinnen würde.


Das Narrativ (die Erzählweise) hielt sich tapfer. Auch die WWF-Sektion verwendete es zum Beispiel in ihrem Mitgliederschreiben. Vielleicht wird es heute wahr, schliesslich tragen Narrative selbst zu ihrer Erfüllung bei. Für den anderen Teil sorgt die Demokratie.



Ein Teil meiner eigentlichen Verbündeten sagte dazu, der Vorwurf des Narrativs und des Opportunismus würde sie verletzen, sie viel Energie kosten und viel Geschirr kaputt machen.


Im gleichen Atemzug hörte ich mir an, dass ich (oder meine Partei oder ihre Kandidatin) wie ein geliebter Freund sei, den man doch nur davon abhalten wolle, ständig wie ein Ziegenbock mit dem Kopf in die Wand zu rennen.


Das Phänomen nennt sich Schuldumkehr und tritt auch in narzisstischen Beziehungen auf. Als einzige Lösung bleibt: Abstand halten. Abgesehen davon ist Schuld in diesem Fall ziemlich irrelevant.



Der Klimaverein entschied sich, keine Nominationen für diese Wahlen zu treffen. Einzelne Mitglieder engagierten sich öffentlich für die Mitte-Kandidatin. Auch ich engagierte mich öffentlich, als einziger aus der Kerngruppe für die SP-Kandidatin.


Sich treu bleiben


Sowohl «Narrativ» als auch «Opportunismus» sind nicht per se Vorwürfe. Klar benutzt man Narrative und handelt opportunistisch. Als Vorwurf werden die Begriffe erst durch die eigene Bewertung (vermutlich wegen Unsicherheit im eigenen Handeln) empfunden.


Ich selbst kenne diese Situation mit dem Begriff Ideologie. Sie wird einem Sozialdemokraten gern vorgeworfen. Ich habe sie noch nie als Vorwurf ernst genommen, weil alle irgendeiner Ideologie folgen.



Ob opportunistisch, ideologisch oder was auch immer: Wichtig bleibt, sich seiner Haltung bewusst zu sein und dann zu ihr zu stehen. So veliert man die Angst, hat sich selbst nichts vorzuwerfen und muss sich auch von anderen nichts vorwerfen lassen.


Einen Vorwurf mache ich mir aber und verzeihe ihn mir gleich wieder: Ich teilte vor vier Jahren meine Hoffnung mit einer Gruppe, mit der sie nicht übereinstimmt. Dabei bin ich selbst verantwortlich für meine Hoffnung und muss schneller zugeben, wenn es nicht mehr zusammenpasst.


So bleibe ich mir treu, so entsteht Verlässlichkeit und so fühle ich mich zuhause.



Wahlkampf für die Roten


Sich selbst treu sein, ist ein gutes Gefühl. Es trug mich während des SP-Wahlkampfs 2023 für den einzigen Glarner Nationalratsssitz. Ich weiss, dass ich mich für die Kandidatin einsetzte, hinter der ich voll und ganz stehe. Ja, mein Glarnerland verdient eine Nationalrätin wie Sabine Steinmann.



Ob die SP gewinnt oder nicht, ist mir im Moment zwar nicht egal. Zum Glück steht meine politische Heimat aber sowohl für ein soziales, als auch für ein demokratisches Selbstverständnis. Alle teilnehmenden Parteien hatten ihre Gründe zu kandidieren und alle Kandidat:innen ihre Motivation zu kämpfen.



Verliert die SP heute, gab es zum Beispiel gewachsene Freundschaften, grössere Verbundenheit, gestärkte Haltung oder mehr SP für die Mitglieder und die Sympathisant:innen zu gewinnen. Ausserdem ist sich die SP verlieren gewöhnt und hat dadurch die Ausdauer, an Themen zu bleiben, für die andere etwas länger brauchen


Sollte es heute für die SP reichen, wird sich ihr Umgang mit der Macht zeigen. Für mich muss Macht nicht zwingend korrumpieren. Sowieso liegt der grösste Teil der Macht in der Schweiz seit ziemlich lange in anderen Händen, obwohl die SP die älteste Partei des Landes ist.



Wer auch immer heute die Macht von den teilnehmenden Glarner Stimmberechtigten erhält: Jede:r von ihnen meint es auf irgendeine Weise gut mit dem Glarnerland – soviel Anerkennung haben alle Kandidat:innen schon mal verdient.

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